| Kant: AA IV, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 216 | |||||||
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| 01 | Grund, der Form nach falsch zu schließen. Auf solche Weise wird ein dergleichen | ||||||
| 02 | Fehlschluß in der Natur der Menschenvernunft seinen Grund | ||||||
| 03 | haben und eine unvermeidliche, obzwar nicht unauflösliche Illusion bei | ||||||
| 04 | sich führen. | ||||||
| 05 | Jetzt kommen wir auf einen Begriff, der oben in der allgemeinen | ||||||
| 06 | Liste der transscendentalen Begriffe nicht verzeichnet worden und dennoch | ||||||
| 07 | dazu gezählt werden muß, ohne doch darum jene Tafel im mindesten zu | ||||||
| 08 | verändern und für mangelhaft zu erklären. Dieses ist der Begriff oder, | ||||||
| 09 | wenn man lieber will, das Urtheil: Ich denke. Man sieht aber leicht, daß | ||||||
| 10 | er das Vehikel aller Begriffe überhaupt und mithin auch der transscendentalen | ||||||
| 11 | sei und also unter diesen jederzeit mit begriffen werde und daher | ||||||
| 12 | eben sowohl transscendental sei, aber keinen besonderen Titel haben könne, | ||||||
| 13 | weil er nur dazu dient, alles Denken als zum Bewußtsein gehörig aufzuführen. | ||||||
| 14 | Indessen so rein er auch vom Empirischen (dem Eindrucke der | ||||||
| 15 | Sinne) ist, so dient er doch dazu, zweierlei Gegenstände aus der Natur | ||||||
| 16 | unserer Vorstellungskraft zu unterscheiden. Ich, als denkend, bin ein | ||||||
| 17 | Gegenstand des innern Sinnes und heiße Seele. Dasjenige, was ein | ||||||
| 18 | Gegenstand äußerer Sinne ist, heißt Körper. Demnach bedeutet der Ausdruck: | ||||||
| 19 | Ich, als ein denkend Wesen, schon den Gegenstand der Psychologie, | ||||||
| 20 | welche die rationale Seelenlehre heißen kann, wenn ich von der Seele nichts | ||||||
| 21 | weiter zu wissen verlange, als was unabhängig von aller Erfahrung | ||||||
| 22 | (welche mich näher und in concreto bestimmt) aus diesem Begriffe Ich, | ||||||
| 23 | so fern er bei allem Denken vorkommt, geschlossen werden kann. | ||||||
| 24 | Die rationale Seelenlehre ist nun wirklich ein Unterfangen von | ||||||
| 25 | dieser Art, denn wenn das mindeste Empirische meines Denkens, irgend | ||||||
| 26 | eine besondere Wahrnehmung meines inneren Zustandes, noch unter die | ||||||
| 27 | Erkenntnißgründe dieser Wissenschaft gemischt würde, so wäre sie nicht | ||||||
| 28 | mehr rationale, sondern empirische Seelenlehre. Wir haben also schon | ||||||
| 29 | eine angebliche Wissenschaft vor uns, welche auf dem einzigen Satze: Ich | ||||||
| 30 | denke, erbaut worden und deren Grund oder Ungrund wir hier ganz | ||||||
| 31 | schicklich und der Natur einer Transscendentalphilosophie gemäß untersuchen | ||||||
| 32 | können. Man darf sich daran nicht stoßen, daß ich doch an diesem | ||||||
| 33 | Satze, der die Wahrnehmung seiner selbst ausdrückt, eine innere Erfahrung | ||||||
| 34 | habe, und mithin die rationale Seelenlehre, welche darauf erbauet wird, | ||||||
| 35 | niemals rein, sondern zum Theil auf ein empirisches Principium gegründet | ||||||
| 36 | sei. Denn diese innere Wahrnehmung ist nichts weiter als die bloße | ||||||
| 37 | Apperception: Ich denke, welche sogar alle transscendentale Begriffe | ||||||
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