Kant: AA IV, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 209

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 nun denselben Weg einschlagen, den wir oben bei der Deduction der Kategorien      
  02 nahmen, nämlich die logische Form der Vernunfterkenntniß erwägen      
  03 und sehen, ob nicht etwa die Vernunft dadurch auch ein Quell von      
  04 Begriffen werde, Objecte an sich selbst als synthetisch a priori bestimmt in      
  05 Ansehung einer oder der andern Function der Vernunft anzusehen.      
           
  06 Vernunft, als Vermögen einer gewissen logischen Form der Erkenntniß      
  07 betrachtet, ist das Vermögen zu schließen, d. i. mittelbar (durch die      
  08 Subsumtion der Bedingung eines möglichen Urtheils unter die Bedingung      
  09 eines gegebenen) zu urtheilen. Das gegebene Urtheil ist die allgemeine      
  10 Regel (Obersatz, Maior ). Die Subsumtion der Bedingung eines andern      
  11 möglichen Urtheils unter die Bedingung der Regel ist der Untersatz ( Minor ).      
  12 Das wirkliche Urtheil, welches die Assertion der Regel in dem subsumirten      
  13 Falle aussagt, ist der Schlußsatz ( Conclusio ). Die Regel      
  14 nämlich sagt etwas allgemein unter einer gewissen Bedingung. Nun findet      
  15 in einem vorkommenden Falle die Bedingung der Regel statt. Also      
  16 wird das, was unter jener Bedingung allgemein galt, auch in dem vorkommenden      
  17 Falle (der diese Bedingung bei sich führt) als gültig angesehen.      
  18 Man sieht leicht, daß die Vernunft durch Verstandeshandlungen,      
  19 welche eine Reihe von Bedingungen ausmachen, zu einem Erkenntnisse gelange.      
  20 Wenn ich zu dem Satze: alle Körper sind veränderlich, nur dadurch      
  21 gelange, daß ich von dem entferntern Erkenntniß (worin der Begriff      
  22 des Körpers noch nicht vorkommt, der aber doch davon die Bedingung enthält)      
  23 anfange: alles Zusammengesetzte ist veränderlich; von diesem zu      
  24 einem näheren gehe, der unter der Bedingung des ersteren steht: die Körper      
  25 sind zusammengesetzt; und von diesem allererst zu einem dritten, der      
  26 nunmehr das entfernte Erkenntniß (veränderlich) mit der vorliegenden      
  27 verknüpft: folglich sind die Körper veränderlich, so bin ich durch eine Reihe      
  28 von Bedingungen (Prämissen) zu einer Erkenntniß (Conclusion) gelangt.      
  29 Nun läßt sich eine jede Reihe, deren Exponent (des kategorischen oder      
  30 hypothetischen Urtheils) gegeben ist, fortsetzen; mithin führt eben dieselbe      
  31 Vernunfthandlung zur ratiocinatio polysyllogistica , welches eine Reihe      
  32 von Schlüssen ist, die entweder auf der Seite der Bedingungen ( per prosyllogismos ),      
  33 oder des Bedingten ( per episyllogismos ) in unbestimmte      
  34 Weiten fortgesetzt werden kann.      
           
  35 Man wird aber bald inne, daß die Kette oder Reihe der Prosyllogismen,      
  36 d. i. der gefolgerten Erkenntnisse auf der Seite der Gründe oder      
  37 der Bedingungen zu einem gegebenen Erkenntniß, mit andern Worten die      
           
     

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