Kant: AA IV, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 208

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 niemals congruent kann gegeben werden. Weil nun das letztere im blos      
  02 speculativen Gebrauch der Vernunft eigentlich die ganze Absicht ist, und      
  03 die Annäherung zu einem Begriffe, der aber in der Ausübung doch niemals      
  04 erreicht wird, eben so viel ist, als ob der Begriff ganz und gar verfehlt      
  05 würde, so heißt es von einem dergleichen Begriffe: er ist nur eine      
  06 Idee. So würde man sagen können: das absolute Ganze aller Erscheinungen      
  07 ist nur eine Idee, denn da wir dergleichen niemals im Bilde      
  08 entwerfen können, so bleibt es ein Problem ohne alle Auflösung. Dagegen      
  09 weil es im praktischen Gebrauch des Verstandes ganz allein um die Ausübung      
  10 nach Regeln zu thun ist, so kann die Idee der praktischen Vernunft      
  11 jederzeit wirklich, ob zwar nur zum Theil in concreto gegeben werden, ja      
  12 sie ist die unentbehrliche Bedingung jedes praktischen Gebrauchs der Vernunft.      
  13 Ihre Ausübung ist jederzeit begränzt und mangelhaft, aber unter      
  14 nicht bestimmbaren Gränzen, also jederzeit unter dem Einflusse des Begriffs      
  15 einer absoluten Vollständigkeit. Demnach ist die praktische Idee      
  16 jederzeit höchst fruchtbar und in Ansehung der wirklichen Handlungen unumgänglich      
  17 nothwendig. In ihr hat die reine Vernunft sogar Causalität,      
  18 das wirklich hervorzubringen, was ihr Begriff enthält, daher kann man      
  19 von der Weisheit nicht gleichsam geringschätzig sagen: sie ist nur eine      
  20 Idee, sondern eben darum weil sie die Idee von der nothwendigen Einheit      
  21 aller möglichen Zwecke ist, so muß sie allem Praktischen als ursprüngliche,      
  22 zum wenigsten einschränkende Bedingung zur Regel dienen.      
           
  23 Ob wir nun gleich von den transscendentalen Vernunftbegriffen sagen      
  24 müssen: sie sind nur Ideen, so werden wir sie doch keinesweges für      
  25 überflüssig und nichtig anzusehen haben. Denn wenn schon dadurch kein      
  26 Object bestimmt werden kann, so können sie doch im Grunde und unbemerkt      
  27 dem Verstande zum Kanon seines ausgebreiteten und einhelligen      
  28 Gebrauchs dienen, dadurch er zwar keinen Gegenstand mehr erkennt, als      
  29 er nach seinen Begriffen erkennen würde, aber doch in dieser Erkenntniß      
  30 besser und weiter geleitet wird. Zu geschweigen, daß sie vielleicht von den      
  31 Naturbegriffen zu den praktischen einen Übergang möglich machen und      
  32 den moralischen Ideen selbst auf solche Art Haltung und Zusammenhang      
  33 mit den speculativen Erkenntnissen der Vernunft verschaffen können. Über      
  34 alles dieses muß man den Aufschluß in dem Verfolg erwarten.      
           
  35 Unserer Absicht gemäß setzen wir aber hier die praktische Ideen bei      
  36 Seite und betrachten daher die Vernunft nur im speculativen und in diesem      
  37 noch enger, nämlich nur im transscendentalen Gebrauch. Hier müssen wir      
           
     

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