Kant: AA IV, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 190

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 nicht genug Acht hat; sondern wirkliche Grundsätze, die uns zumuthen,      
  02 alle jene Gränzpfähle niederzureißen und sich einen ganz neuen Boden,      
  03 der überall keine Demarcation erkennt, anzumaßen. Daher sind transscendental      
  04 und transscendent nicht einerlei. Die Grundsätze des      
  05 reinen Verstandes, die wir oben vortrugen, sollen blos von empirischem      
  06 und nicht von transscendentalem, d. i. über die Erfahrungsgränze hinausreichendem,      
  07 Gebrauche sein. Ein Grundsatz aber, der diese Schranken      
  08 wegnimmt, ja gar gebietet, sie zu überschreiten, heißt transscendent.      
  09 Kann unsere Kritik dahin gelangen, den Schein dieser angemaßten Grundsätze      
  10 aufzudecken, so werden jene Grundsätze des blos empirischen Gebrauchs      
  11 im Gegensatz mit den letztern immanente Grundsätze des reinen      
  12 Verstandes genannt werden können.      
           
  13 Der logische Schein, der in der bloßen Nachahmung der Vernunftform      
  14 besteht (der Schein der Trugschlüsse), entspringt lediglich aus einem      
  15 Mangel der Achtsamkeit auf die logische Regel. So bald daher diese auf      
  16 den vorliegenden Fall geschärft wird, so verschwindet er gänzlich. Der      
  17 transscendentale Schein dagegen hört gleichwohl nicht auf, ob man ihn      
  18 schon aufgedeckt und seine Richtigkeit durch die transscendentale Kritik      
  19 deutlich eingesehen hat (z. B. der Schein in dem Satze: die Welt muß der      
  20 Zeit nach einen Anfang haben). Die Ursache hievon ist diese: daß in unserer      
  21 Vernunft (subjectiv als ein menschliches Erkenntnißvermögen betrachtet)      
  22 Grundregeln und Maximen ihres Gebrauchs liegen, welche gänzlich      
  23 das Ansehen objectiver Grundsätze haben und wodurch es geschieht,      
  24 daß die subjective Nothwendigkeit einer gewissen Verknüpfung unserer      
  25 Begriffe zu Gunsten des Verstandes für eine objective Nothwendigkeit der      
  26 Bestimmung der Dinge an sich selbst gehalten wird. Eine Illusion, die      
  27 gar nicht zu vermeiden ist, so wenig als wir es vermeiden können, daß      
  28 uns das Meer in der Mitte nicht höher scheine, wie an dem Ufer, weil      
  29 wir jene durch höhere Lichtstrahlen als diese sehen, oder noch mehr, so      
  30 wenig selbst der Astronom verhindern kann, daß ihm der Mond im Aufgange      
  31 nicht größer Scheine, ob er gleich durch diesen Schein nicht betrogen      
  32 wird.      
           
  33 Die transscendentale Dialektik wird also sich damit begnügen, den      
  34 Schein transscendenter Urtheile aufzudecken und zugleich zu verhüten, daß      
  35 er nicht betrüge; daß er aber auch (wie der logische Schein) sogar verschwinde      
  36 und ein Schein zu sein aufhöre, das kann sie niemals bewerkstelligen.      
  37 Denn wir haben es mit einer natürlichen und unvermeidlichen      
           
     

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