Kant: AA IV, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 152 |
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01 | es allein, worin die Einheit der Erfahrung, in der alle Wahrnehmungen | ||||||
02 | ihre Stelle haben müssen, möglich wird. | ||||||
03 | Ob das Feld der Möglichkeit größer sei, als das Feld, was alles | ||||||
04 | Wirkliche enthält, dieses aber wiederum größer als die Menge desjenigen, | ||||||
05 | was nothwendig ist: das sind artige Fragen und zwar von synthetischer | ||||||
06 | Auflösung, die aber auch nur der Gerichtsbarkeit der Vernunft anheim | ||||||
07 | fallen; denn sie wollen ungefähr so viel sagen, als ob alle Dinge als Erscheinungen | ||||||
08 | insgesammt in den Inbegriff und den Context einer einzigen | ||||||
09 | Erfahrung gehören, von der jede gegebene Wahrnehmung ein Theil ist, | ||||||
10 | der also mit keinen andern Erscheinungen könne verbunden werden, oder | ||||||
11 | ob meine Wahrnehmungen zu mehr wie einer möglichen Erfahrung (in | ||||||
12 | ihrem allgemeinen Zusammenhange) gehören können. Der Verstand giebt | ||||||
13 | a priori der Erfahrung überhaupt nur die Regel nach den subjectiven und | ||||||
14 | formalen Bedingungen sowohl der Sinnlichkeit als der Apperception, | ||||||
15 | welche sie allein möglich machen. Andere Formen der Anschauung (als | ||||||
16 | Raum und Zeit), imgleichen andere Formen des Verstandes (als die discursive | ||||||
17 | des Denkens oder der Erkenntniß durch Begriffe), ob sie gleich | ||||||
18 | möglich wären, können wir uns doch auf keinerlei Weise erdenken und faßlich | ||||||
19 | machen; aber wenn wir es auch könnten, so würden sie doch nicht zur | ||||||
20 | Erfahrung als dem einzigen Erkenntniß gehören, worin uns Gegenstände | ||||||
21 | gegeben werden. Ob andere Wahrnehmungen, als überhaupt zu unserer | ||||||
22 | gesammten möglichen Erfahrung gehören, und also ein ganz anderes Feld | ||||||
23 | der Materie noch statt finden könne, kann der Verstand nicht entscheiden, er | ||||||
24 | hat es nur mit der Synthesis dessen zu thun, was gegeben ist. Sonst ist | ||||||
25 | die Armseligkeit unserer gewöhnlichen Schlüsse, wodurch wir ein großes | ||||||
26 | Reich der Möglichkeit heraus bringen, davon alles Wirkliche (aller Gegenstand | ||||||
27 | der Erfahrung) nur ein kleiner Theil sei, sehr in die Augen fallend. | ||||||
28 | Alles Wirkliche ist möglich; hieraus folgt natürlicher Weise nach den logischen | ||||||
29 | Regeln der Umkehrung der blos particulare Satz: einiges Mögliche | ||||||
30 | ist wirklich, welches denn so viel zu bedeuten scheint, als: es ist vieles | ||||||
31 | möglich, was nicht wirklich ist. Zwar hat es den Anschein, als könne man | ||||||
32 | auch gerade zu die Zahl des Möglichen über die des Wirklichen dadurch | ||||||
33 | hinaussetzen, weil zu jener noch etwas hinzukommen muß, um diese auszumachen. | ||||||
34 | Allein dieses Hinzukommen zum Möglichen kenne ich nicht. | ||||||
35 | Denn was über dasselbe noch zugesetzt werden sollte, wäre unmöglich. Es | ||||||
36 | kann nur zu meinem Verstande etwas über die Zusammenstimmung mit | ||||||
37 | den formalen Bedingungen der Erfahrung, nämlich die Verknüpfung mit | ||||||
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