Kant: AA IV, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 136 |
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01 | zur Wirkung die Bedingung der objectiven Gültigkeit unserer empirischen | ||||||
02 | Urtheile in Ansehung der Reihe der Wahrnehmungen, mithin | ||||||
03 | der empirischen Wahrheit derselben und also der Erfahrung. Der Grundsatz | ||||||
04 | des Causalverhältnisses in der Folge der Erscheinungen gilt daher | ||||||
05 | auch vor allen Gegenständen der Erfahrung (unter den Bedingungen der | ||||||
06 | Succession), weil er selbst der Grund der Möglichkeit einer solchen Erfahrung | ||||||
07 | ist. | ||||||
08 | Hier äußert sich aber noch eine Bedenklichkeit, die gehoben werden | ||||||
09 | muß. Der Satz der Causalverknüpfung unter den Erscheinungen ist in | ||||||
10 | unsrer Formel auf die Reihenfolge derselben eingeschränkt, da es sich doch | ||||||
11 | bei dem Gebrauch desselben findet, daß er auch auf ihre Begleitung passe | ||||||
12 | und Ursache und Wirkung zugleich sein könne. Es ist z. B. Wärme im | ||||||
13 | Zimmer, die nicht in freier Luft angetroffen wird. Ich sehe mich nach der | ||||||
14 | Ursache um und finde einen geheizten Ofen. Nun ist dieser als Ursache | ||||||
15 | mit seiner Wirkung, der Stubenwärme, zugleich; also ist hier keine Reihenfolge | ||||||
16 | der Zeit nach zwischen Ursache und Wirkung, sondern sie sind zugleich, | ||||||
17 | und das Gesetz gilt doch. Der größte Theil der wirkenden Ursachen | ||||||
18 | in der Natur ist mit ihren Wirkungen zugleich, und die Zeitfolge der letzteren | ||||||
19 | wird nur dadurch veranlaßt, daß die Ursache ihre ganze Wirkung | ||||||
20 | nicht in einem Augenblick verrichten kann. Aber in dem Augenblicke, da | ||||||
21 | sie zuerst entsteht, ist sie mit der Causalität ihrer Ursache jederzeit zugleich, | ||||||
22 | weil, wenn jene einen Augenblick vorher aufgehört hätte zu sein, diese gar | ||||||
23 | nicht entstanden wäre. Hier muß man wohl bemerken, daß es auf die | ||||||
24 | Ordnung der Zeit und nicht den Ablauf derselben angesehen sei: das | ||||||
25 | Verhältniß bleibt, wenngleich keine Zeit verlaufen ist. Die Zeit zwischen | ||||||
26 | der Causalität der Ursache und deren unmittelbaren Wirkung kann verschwindend | ||||||
27 | (sie also zugleich) sein, aber das Verhältniß der einen zur | ||||||
28 | andern bleibt doch immer der Zeit nach bestimmbar. Wenn ich eine Kugel, | ||||||
29 | die auf einem ausgestopften Küssen liegt und ein Grübchen darin drückt, | ||||||
30 | als Ursache betrachte, so ist sie mit der Wirkung zugleich. Allein ich unterscheide | ||||||
31 | doch beide durch das Zeitverhältniß der dynamischen Verknüpfung | ||||||
32 | beider. Denn wenn ich die Kugel auf das Küssen lege, so folgt auf die | ||||||
33 | vorige glatte Gestalt desselben das Grübchen; hat aber das Küssen (ich | ||||||
34 | weiß nicht woher) ein Grübchen, so folgt darauf nicht eine bleierne Kugel. | ||||||
35 | Demnach ist die Zeitfolge allerdings das einzige empirische Kriterium | ||||||
36 | der Wirkung in Beziehung auf die Causalität der Ursache, die vorhergeht. | ||||||
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