Kant: AA IV, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 137 |
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Text (Kant):
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| 01 | Das Glas ist die Ursache von dem Steigen des Wassers über seine Horizontalfläche, | ||||||
| 02 | obgleich beide Erscheinungen zugleich sind. Denn so bald ich | ||||||
| 03 | dieses aus einem größeren Gefäß mit dem Glase schöpfe, so erfolgt etwas, | ||||||
| 04 | nämlich die Veränderung des Horizontalstandes, den es dort hatte, | ||||||
| 05 | in einen concaven, den es im Glase annimmt. | ||||||
| 06 | Diese Causalität führt auf den Begriff der Handlung, diese auf den | ||||||
| 07 | Begriff der Kraft und dadurch auf den Begriff der Substanz. Da ich | ||||||
| 08 | mein kritisches Vorhaben, welches lediglich auf die Quellen der synthetischen | ||||||
| 09 | Erkenntniß a priori geht, nicht mit Zergliederungen bemengen will, die | ||||||
| 10 | blos die Erläuterung (nicht Erweiterung) der Begriffe angehen, so überlasse | ||||||
| 11 | ich die umständliche Erörterung derselben einem künftigen System | ||||||
| 12 | der reinen Vernunft: wiewohl man eine solche Analysis im reichen Maße | ||||||
| 13 | auch schon in den bisher bekannten Lehrbüchern dieser Art antrifft. Allein | ||||||
| 14 | das empirische Kriterium einer Substanz, so fern sie sich nicht durch die | ||||||
| 15 | Beharrlichkeit der Erscheinung, sondern besser und leichter durch Handlung | ||||||
| 16 | zu offenbaren scheint, kann ich nicht unberührt lassen. | ||||||
| 17 | Wo Handlung, mithin Thätigkeit und Kraft ist, da ist auch Substanz, | ||||||
| 18 | und in dieser allein muß der Sitz jener fruchtbaren Quelle der Erscheinungen | ||||||
| 19 | gesucht werden. Das ist ganz gut gesagt: aber wenn man sich | ||||||
| 20 | darüber erklären soll, was man unter Substanz verstehe, und dabei den | ||||||
| 21 | fehlerhaften Cirkel vermeiden will, so ist es nicht so leicht verantwortet. | ||||||
| 22 | Wie will man aus der Handlung sogleich auf die Beharrlichkeit des | ||||||
| 23 | Handelnden schließen, welches doch ein so wesentliches und eigenthümliches | ||||||
| 24 | Kennzeichen der Substanz ( phaenomenon ) ist? Allein nach unserm vorigen | ||||||
| 25 | hat die Auflösung der Frage doch keine solche Schwierigkeit, ob sie | ||||||
| 26 | gleich nach der gemeinen Art (blos analytisch mit seinen Begriffen zu verfahren) | ||||||
| 27 | ganz unauflöslich sein würde. Handlung bedeutet schon das Verhältniß | ||||||
| 28 | des Subjects der Causalität zur Wirkung. Weil nun alle Wirkung | ||||||
| 29 | in dem besteht, was da geschieht, mithin im Wandelbaren, was die | ||||||
| 30 | Zeit der Succession nach bezeichnet: so ist das letzte Subject desselben das | ||||||
| 31 | Beharrliche als das Substratum alles Wechselnden, d. i. die Substanz. | ||||||
| 32 | Denn nach dem Grundsatze der Causalität sind Handlungen immer der | ||||||
| 33 | erste Grund von allem Wechsel der Erscheinungen und können also nicht | ||||||
| 34 | in einem Subject liegen, was selbst wechselt, weil sonst andere Handlungen | ||||||
| 35 | und ein anderes Subject, welches diesen Wechsel bestimmte, erforderlich | ||||||
| 36 | wären. Kraft dessen beweiset nun Handlung als ein hinreichendes empirisches | ||||||
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