Kant: AA IV, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 129

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 Vorstellung, so fern man sich ihrer bewußt ist, Object nennen; allein was      
  02 dieses Wort bei Erscheinungen zu bedeuten habe, nicht in so fern sie (als      
  03 Vorstellungen) Objecte sind, sondern nur ein Object bezeichnen, ist von      
  04 tieferer Untersuchung. So fern sie nur als Vorstellungen zugleich Gegenstände      
  05 des Bewußtseins sind, so sind sie von der Apprehension, d. i. der      
  06 Aufnahme in die Synthesis der Einbildungskraft, gar nicht unterschieden,      
  07 und man muß also sagen: das Mannigfaltige der Erscheinungen wird im      
  08 Gemüth jederzeit successiv erzeugt. Wären Erscheinungen Dinge an sich      
  09 selbst, so würde kein Mensch aus der Succession der Vorstellungen von      
  10 ihrem Mannigfaltigen ermessen können, wie dieses in dem Object verbunden      
  11 sei. Denn wir haben es doch nur mit unsern Vorstellungen zu thun;      
  12 wie Dinge an sich selbst (ohne Rücksicht auf Vorstellungen, dadurch sie uns      
  13 afficiren) sein mögen, ist gänzlich außer unsrer Erkenntnißsphäre. Ob nun      
  14 gleich die Erscheinungen nicht Dinge an sich selbst und gleichwohl doch das      
  15 einzige sind, was uns zur Erkenntniß gegeben werden kann, so soll ich anzeigen,      
  16 was dem Mannigfaltigen an den Erscheinungen selbst für eine Verbindung      
  17 in der Zeit zukomme, indessen daß die Vorstellung desselben in      
  18 der Apprehension jederzeit successiv ist. So ist z. E. die Apprehension des      
  19 Mannigfaltigen in der Erscheinung eines Hauses, das vor mir steht, successiv.      
  20 Nun ist die Frage, ob das Mannigfaltige dieses Hauses selbst auch in      
  21 sich successiv sei, welches freilich niemand zugeben wird. Nun ist aber, so bald      
  22 ich meine Begriffe von einem Gegenstande bis zur transscendentalen Bedeutung      
  23 steigere, das Haus gar kein Ding an sich selbst, sondern nur eine Erscheinung,      
  24 d. i. Vorstellung, deren transscendentaler Gegenstand unbekannt      
  25 ist; was verstehe ich also unter der Frage: wie das Mannigfaltige in der      
  26 Erscheinung selbst (die doch nichts an sich selbst ist) verbunden sein möge?      
  27 Hier wird das, was in der successiven Apprehension liegt, als Vorstellung,      
  28 die Erscheinung aber, die mir gegeben ist, unerachtet sie nichts weiter als ein      
  29 Inbegriff dieser Vorstellungen ist, als der Gegenstand derselben betrachtet,      
  30 mit welchem mein Begriff, den ich aus den Vorstellungen der Apprehension      
  31 ziehe, zusammen stimmen soll. Man sieht bald, daß, weil Übereinstimmung      
  32 der Erkenntniß mit dem Object Wahrheit ist, hier nur nach den      
  33 formalen Bedingungen der empirischen Wahrheit gefragt werden kann,      
  34 und Erscheinung im Gegenverhältniß mit den Vorstellungen der Apprehension      
  35 nur dadurch als das davon unterschiedene Object derselben könne      
  36 vorgestellt werden, wenn sie unter einer Regel steht, welche sie von jeder andern      
  37 Apprehension unterscheidet und eine Art der Verbindung des Mannigfaltigen      
           
     

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