Kant: AA IV, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 130

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 nothwendig macht. Dasjenige an der Erscheinung, was die Bedingung      
  02 dieser nothwendigen Regel der Apprehension enthält, ist das Object.      
           
  03 Nun laßt uns zu unsrer Aufgabe fortgehen. Daß etwas geschehe,      
  04 d. i. etwas oder ein Zustand werde, der vorher nicht war, kann nicht empirisch      
  05 wahrgenommen werden, wo nicht eine Erscheinung vorhergeht,      
  06 welche diesen Zustand nicht in sich enthält; denn eine Wirklichkeit, die auf      
  07 eine leere Zeit folge, mithin ein Entstehen, vor dem kein Zustand der      
  08 Dinge vorhergeht, kann eben so wenig als die leere Zeit selbst apprehendirt      
  09 werden. Jede Apprehension einer Begebenheit ist also eine Wahrnehmung,      
  10 welche auf eine andere folgt. Weil dieses aber bei aller Synthesis      
  11 der Apprehension so beschaffen ist, wie ich oben an der Erscheinung      
  12 eines Hauses gezeigt habe, so unterscheidet sie sich dadurch noch nicht von      
  13 andern. Allein ich bemerke auch: daß, wenn ich an einer Erscheinung,      
  14 welche ein Geschehen enthält, den vorhergehenden Zustand der Wahrnehmung      
  15 A, den folgenden aber B nenne, daß B auf A in der Apprehension      
  16 nur folgen, die Wahrnehmung A aber auf B nicht folgen, sondern nur      
  17 vorhergehen kann. Ich sehe z. B. ein Schiff den Strom hinab treiben.      
  18 Meine Wahrnehmung seiner Stelle unterhalb folgt auf die Wahrnehmung      
  19 der Stelle desselben oberhalb dem Laufe des Flusses, und es ist unmöglich,      
  20 daß in der Apprehension dieser Erscheinung das Schiff zuerst unterhalb,      
  21 nachher aber oberhalb des Stromes wahrgenommen werden sollte. Die      
  22 Ordnung in der Folge der Wahrnehmungen in der Apprehension ist hier      
  23 also bestimmt, und an dieselbe ist die letztere gebunden. In dem vorigen      
  24 Beispiele von einem Hause konnten meine Wahrnehmungen in der Apprehension      
  25 von der Spitze desselben anfangen und beim Boden endigen, aber      
  26 auch von unten anfangen und oben endigen, imgleichen rechts oder links      
  27 das Mannigfaltige der empirischen Anschauung apprehendiren. In der      
  28 Reihe dieser Wahrnehmungen war also keine bestimmte Ordnung, welche      
  29 es nothwendig machte, wenn ich in der Apprehension anfangen müßte,      
  30 um das Mannigfaltige empirisch zu verbinden. Diese Regel aber ist bei      
  31 der Wahrnehmung von dem, was geschieht, jederzeit anzutreffen, und sie      
  32 macht die Ordnung der einander folgenden Wahrnehmungen (in der      
  33 Apprehension dieser Erscheinung) nothwendig.      
  34 Ich werde also in unserm Fall die subjective Folge der Apprehension      
  35 von der objectiven Folge der Erscheinungen ableiten müssen,      
  36 weil jene sonst gänzlich unbestimmt ist und keine Erscheinung von der andern      
  37 unterscheidet. Jene allein beweiset nichts von der Verknüpfung des      
           
     

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