Kant: AA IV, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 127 |
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01 | kann, nämlich die Identität des Substratum, als woran aller Wechsel allein | ||||||
02 | durchgängige Einheit hat. Diese Beharrlichkeit ist indes doch weiter nichts | ||||||
03 | als die Art, uns das Dasein der Dinge (in der Erscheinung) vorzustellen. | ||||||
04 | Die Bestimmungen einer Substanz, die nichts anders sind als besondere | ||||||
05 | Arten derselben zu existiren, heißen Accidenzen. Sie sind jederzeit | ||||||
06 | real, weil sie das Dasein der Substanz betreffen (Negationen sind nur | ||||||
07 | Bestimmungen, die das Nichtsein von etwas an der Substanz ausdrücken). | ||||||
08 | Wenn man nun diesem Realen an der Substanz ein besonderes Dasein | ||||||
09 | beilegt (z. E. der Bewegung als einem Accidenz der Materie), so nennt | ||||||
10 | man dieses Dasein die Inhärenz zum Unterschiede vom Dasein der Substanz, | ||||||
11 | das man Subsistenz nennt. Allein hieraus entspringen viel Mißdeutungen, | ||||||
12 | und es ist genauer und richtiger geredet, wenn man das Accidenz | ||||||
13 | nur durch die Art, wie das Dasein einer Substanz positiv bestimmt | ||||||
14 | ist, bezeichnet. Indessen ist es doch vermöge der Bedingungen des logischen | ||||||
15 | Gebrauchs unseres Verstandes unvermeidlich, dasjenige, was im Dasein | ||||||
16 | einer Substanz wechseln kann, indessen daß die Substanz bleibt, gleichsam | ||||||
17 | abzusondern und in Verhältniß auf das eigentliche Beharrliche und Radicale | ||||||
18 | zu betrachten; daher denn auch diese Kategorie unter dem Titel der | ||||||
19 | Verhältnisse steht, mehr als die Bedingung derselben, als daß sie selbst | ||||||
20 | ein Verhältniß enthielte. | ||||||
21 | Auf dieser Beharrlichkeit gründet sich nun auch die Berichtigung des | ||||||
22 | Begriffs von Veränderung. Entstehen und Vergehen sind nicht Veränderungen | ||||||
23 | desjenigen, was entsteht oder vergeht. Veränderung ist eine | ||||||
24 | Art zu existiren, welche auf eine andere Art zu existiren eben desselben | ||||||
25 | Gegenstandes erfolgt. Daher ist alles, was sich verändert, bleibend, | ||||||
26 | und nur sein Zustand wechselt. Da dieser Wechsel also nur die Bestimmungen | ||||||
27 | trifft, die aufhören oder auch anheben können, so können wir in | ||||||
28 | einem etwas paradox scheinenden Ausdruck sagen: nur das Beharrliche | ||||||
29 | (die Substanz) wird verändert, das Wandelbare erleidet keine Veränderung, | ||||||
30 | sondern einen Wechsel, da einige Bestimmungen aufhören, und | ||||||
31 | andre anheben. | ||||||
32 | Veränderung kann daher nur an Substanzen wahrgenommen werden, | ||||||
33 | und das Entstehen oder Vergehen schlechthin, ohne daß es blos eine Bestimmung | ||||||
34 | des Beharrlichen betreffe, kann gar keine mögliche Wahrnehmung | ||||||
35 | sein, weil eben dieses Beharrliche die Vorstellung von dem Übergange | ||||||
36 | aus einem Zustande in den andern und von Nichtsein zum Sein | ||||||
37 | möglich macht, die also nur als wechselnde Bestimmungen dessen, was | ||||||
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