Kant: AA IV, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 078 |
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01 | die Gegenwart des Gegenstandes eine dieser Vorstellungen einen Übergang | ||||||
02 | des Gemüths zu der andern nach einer beständigen Regel hervorbringt. | ||||||
03 | Dieses Gesetz der Reproduction setzt aber voraus: daß die Erscheinungen | ||||||
04 | selbst wirklich einer solchen Regel unterworfen seien, und daß | ||||||
05 | in dem Mannigfaltigen ihrer Vorstellungen eine gewissen Regeln gemäße | ||||||
06 | Begleitung oder Folge statt finde; denn ohne das würde unsere empirische | ||||||
07 | Einbildungskraft niemals etwas ihrem Vermögen gemäßes zu thun bekommen, | ||||||
08 | also wie ein todtes und selbst unbekanntes Vermögen im | ||||||
09 | Inneren des Gemüths verborgen bleiben. Würde der Zinnober bald | ||||||
10 | roth, bald schwarz, bald leicht, bald schwer sein, ein Mensch bald in diese, | ||||||
11 | bald in jene thierische Gestalt verändert werden, am längsten Tage bald | ||||||
12 | das Land mit Früchten, bald mit Eis und Schnee bedeckt sein, so könnte | ||||||
13 | meine empirische Einbildungskraft nicht einmal Gelegenheit bekommen, | ||||||
14 | bei der Vorstellung der rothen Farbe den schweren Zinnober in die Gedanken | ||||||
15 | zu bekommen; oder würde ein gewisses Wort bald diesem, bald | ||||||
16 | jenem Dinge beigelegt, oder auch eben dasselbe Ding bald so, bald anders | ||||||
17 | benannt, ohne daß hierin eine gewisse Regel, der die Erscheinungen schon | ||||||
18 | von selbst unterworfen sind, herrschte, so könnte keine empirische Synthesis | ||||||
19 | der Reproduction statt finden. | ||||||
20 | Es muß also etwas sein, was selbst diese Reproduction der Erscheinungen | ||||||
21 | möglich macht, dadurch daß es der Grund a priori einer nothwendigen | ||||||
22 | synthetischen Einheit derselben ist. Hierauf aber kommt man | ||||||
23 | bald, wenn man sich besinnt, daß Erscheinungen nicht Dinge an sich selbst, | ||||||
24 | sondern das bloße Spiel unserer Vorstellungen sind, die am Ende auf | ||||||
25 | Bestimmungen des inneren Sinnes auslaufen. Wenn wir nun darthun | ||||||
26 | können, daß selbst unsere reinste Anschauungen a priori keine Erkenntniß | ||||||
27 | verschaffen, außer so fern sie eine solche Verbindung des Mannigfaltigen | ||||||
28 | enthalten, die eine durchgängige Synthesis der Reproduction möglich | ||||||
29 | macht, so ist diese Synthesis der Einbildungskraft auch vor aller Erfahrung | ||||||
30 | auf Principien a priori gegründet, und man muß eine reine transscendentale | ||||||
31 | Synthesis derselben annehmen, die selbst der Möglichkeit aller | ||||||
32 | Erfahrung (als welche die Reproducibilität der Erscheinungen nothwendig | ||||||
33 | voraussetzt) zum Grunde liegt. Nun ist offenbar, daß, wenn ich eine Linie | ||||||
34 | in Gedanken ziehe, oder die Zeit von einem Mittag zum andern denken, | ||||||
35 | oder auch nur eine gewisse Zahl mir vorstellen will, ich erstlich nothwendig | ||||||
36 | eine dieser mannigfaltigen Vorstellungen nach der andern in Gedanken | ||||||
37 | fassen müsse. Würde ich aber die vorhergehende (die erste Theile der | ||||||
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