Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 546 |
|||||||
Zeile:
|
Text (Kant):
|
|
|
||||
01 | selbst in der Entwickelung der Idee ihrer Wissenschaft fehlten, die | ||||||
02 | Bearbeitung derselben keinen bestimmten Zweck und keine sichere Richtschnur | ||||||
03 | haben konnte, und sie bei einem so willkürlich gemachten Entwurfe, | ||||||
04 | unwissend in dem Wege, den sie zu nehmen hätten, und jederzeit unter sich | ||||||
05 | streitig über die Entdeckungen, die ein jeder auf dem seinigen gemacht | ||||||
06 | haben wollte, ihre Wissenschaft zuerst bei andern und endlich sogar bei | ||||||
07 | sich selbst in Verachtung brachten. | ||||||
08 | Alles reine Erkenntniß a priori macht also Vermöge des besonderen | ||||||
09 | Erkenntnißvermögens, darin es allein seinen Sitz haben kann, eine besondere | ||||||
10 | Einheit aus, und Metaphysik ist diejenige Philosophie, welche jene | ||||||
11 | Erkenntniß in dieser systematischen Einheit darstellen soll. Der speculative | ||||||
12 | Theil derselben, der sich diesen Namen vorzüglich zugeeignet hat, nämlich | ||||||
13 | die, welche wir Metaphysik der Natur nennen, und alles, so fern es | ||||||
14 | ist (nicht das, was sein soll), aus Begriffen a priori erwägt, wird nun | ||||||
15 | auf folgende Art eingetheilt. | ||||||
16 | Die im engeren Verstande so genannte Metaphysik besteht aus der | ||||||
17 | Transscendentalphilosophie und der Physiologie der reinen Vernunft. | ||||||
18 | Die erstere betrachtet nur den Verstand und Vernunft selbst in | ||||||
19 | einem System aller Begriffe und Grundsätze, die sich auf Gegenstände | ||||||
20 | überhaupt beziehen, ohne Objecte anzunehmen, die gegeben wären | ||||||
21 | ( Ontologia ); die zweite betrachtet Natur, d. i. den Inbegriff gegebener | ||||||
22 | Gegenstände (sie mögen nun den Sinnen, oder, wenn man will, einer andern | ||||||
23 | Art von Anschauung gegeben sein), und ist also Physiologie (obgleich | ||||||
24 | nur rationalis ). Nun ist aber der Gebrauch der Vernunft in dieser | ||||||
25 | rationalen Naturbetrachtung entweder physisch oder hyperphysisch, oder | ||||||
26 | besser, entweder immanent oder transscendent. Der erstere geht auf | ||||||
27 | die Natur, so weit als ihre Erkenntniß in der Erfahrung ( in concreto ) | ||||||
28 | kann angewandt werden, der zweite auf diejenige Verknüpfung der Gegenstände | ||||||
29 | der Erfahrung, welche alle Erfahrung übersteigt. Diese transscendente | ||||||
30 | Physiologie hat daher entweder eine innere Verknüpfung | ||||||
31 | oder äußere, die aber beide über mögliche Erfahrung hinausgehen, zu | ||||||
32 | ihrem Gegenstande; jene ist die Physiologie der gesammten Natur, d. i. | ||||||
33 | die transscendentale Welterkenntniß, diese des Zusammenhanges | ||||||
34 | der gesammten Natur mit einem Wesen über der Natur, d. i. die transscendentale | ||||||
35 | Gotteserkenntniß. | ||||||
36 | Die immanente Physiologie betrachtet dagegen Natur als den Inbegriff | ||||||
37 | aller Gegenstände der Sinne, mithin so wie sie uns gegeben ist, aber | ||||||
[ Seite 545 ] [ Seite 547 ] [ Inhaltsverzeichnis ] |