Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 516

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 etwas Unmögliches, und die Unendlichkeit dieses eingebildeten Ganzen      
  02 würde zwar unbedingt sein, widerspräche aber (weil alles an Erscheinungen      
  03 bedingt ist) der unbedingten Größenbestimmung, die doch im Begriffe      
  04 vorausgesetzt wird.      
           
  05 Die apagogische Beweisart ist auch das eigentliche Blendwerk, womit      
  06 die Bewunderer der Gründlichkeit unserer dogmatischen Vernünftler      
  07 jederzeit hingehalten worden: sie ist gleichsam der Champion, der die Ehre      
  08 und das unstreitige Recht seiner genommenen Partei dadurch beweisen      
  09 will, daß er sich mit jedermann zu raufen anheischig macht, der es bezweifeln      
  10 wollte; obgleich durch solche Großsprecherei nichts in der Sache, sondern      
  11 nur der respectiven Stärke der Gegner ausgemacht wird und zwar      
  12 auch nur auf der Seite desjenigen, der sich angreifend verhält. Die Zuschauer,      
  13 indem sie sehen, daß ein jeder in seiner Reihe bald Sieger ist,      
  14 bald unterliegt, nehmen oftmals daraus Anlaß, das Object des Streits      
  15 selbst sceptisch zu bezweifeln. Aber sie haben nicht Ursache dazu, und es      
  16 ist genug, ihnen zuzurufen: non defensoribus istis tempus eget . Ein      
  17 jeder muß seine Sache vermittelst eines durch transscendentale Deduction      
  18 der Beweisgründe geführten rechtlichen Beweises, d. i. direct, führen, damit      
  19 man sehe, was seine Vernunftansprüche für sich selbst anzuführen haben.      
  20 Denn fußt sich sein Gegner auf subjective Gründe, so ist er freilich      
  21 leicht zu widerlegen, aber ohne Vortheil für den Dogmatiker, der gemeiniglich      
  22 eben so den subjectiven Ursachen des Urtheils anhängt und gleichergestalt      
  23 von seinem Gegner in die Enge getrieben werden kann. Verfahren      
  24 aber beide Theile bloß direct, so werden sie entweder die Schwierigkeit,      
  25 ja Unmöglichkeit, den Titel ihrer Behauptungen auszufinden, von      
  26 selbst bemerken und sich zuletzt nur auf Verjährung berufen können, oder      
  27 die Kritik wird den dogmatischen Schein leicht entdecken und die reine      
  28 Vernunft nöthigen, ihre zu hoch getriebene Anmaßungen im speculativen      
  29 Gebrauch aufzugeben und sich innerhalb die Grenzen ihres eigenthümlichen      
  30 Bodens, nämlich praktischer Grundsätze, zurückzuziehen.      
           
           
     

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