Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 478

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 wird, was man bei dem Worte Wasser denkt, sondern zu Versuchen      
  02 schreitet, und das Wort mit den wenigen Merkmalen, die ihm anhängen,      
  03 nur eine Bezeichnung und nicht einen Begriff der Sache ausmachen      
  04 soll, mithin die angebliche Definition nichts anders als Wortbestimmung      
  05 ist. Zweitens kann auch, genau zu reden, kein a priori gegebener Begriff      
  06 definirt werden, z. B. Substanz, Ursache, Recht, Billigkeit etc. Denn ich      
  07 kann niemals sicher sein, daß die deutliche Vorstellung eines (noch verworren)      
  08 gegebenen Begriffs ausführlich entwickelt worden, als wenn ich      
  09 weiß, daß dieselbe dem Gegenstande adäquat sei. Da der Begriff desselben      
  10 aber, so wie er gegeben ist, viel dunkele Vorstellungen enthalten      
  11 kann, die wir in der Zergliederung übergehen, ob wir sie zwar in der Anwendung      
  12 jederzeit brauchen: so ist die Ausführlichkeit der Zergliederung      
  13 meines Begriffs immer zweifelhaft und kann nur durch vielfältig zutreffende      
  14 Beispiele vermuthlich, niemals aber apodiktisch gewiß gemacht      
  15 werden. Anstatt des Ausdrucks Definition würde ich lieber den      
  16 der Exposition brauchen, der immer noch behutsam bleibt, und bei dem      
  17 der Kritiker sie auf einen gewissen Grad gelten lassen und doch wegen der      
  18 Ausführlichkeit noch Bedenken tragen kann. Da also weder empirisch,      
  19 noch a priori gegebene Begriffe definirt werden können, so bleiben keine      
  20 andere als willkürlich gedachte übrig, an denen man dieses Kunststück versuchen      
  21 kann. Meinen Begriff kann ich in solchem Falle jederzeit definiren;      
  22 denn ich muß doch wissen, was ich habe denken wollen, da ich ihn selbst      
  23 vorsetzlich gemacht habe, und er mir weder durch die Natur des Verstandes,      
  24 noch durch die Erfahrung gegeben worden, aber ich kann nicht sagen,      
  25 daß ich dadurch einen wahren Gegenstand definirt habe. Denn wenn der      
  26 Begriff auf empirischen Bedingungen beruht, z. B. eine Schiffsuhr, so      
  27 wird der Gegenstand und dessen Möglichkeit durch diesen willkürlichen      
  28 Begriff noch nicht gegeben; ich weiß daraus nicht einmal, ob er überall      
  29 einen Gegenstand habe, und meine Erklärung kann besser eine Declaration      
  30 (meines Projects) als Definition eines Gegenstandes heißen. Also      
  31 blieben keine andere Begriffe übrig, die zum Definiren taugen, als solche,      
  32 die eine willkürliche Synthesis enthalten, welche a priori construirt werden      
  33 kann, mithin hat nur die Mathematik Definitionen. Denn den Gegenstand,      
  34 den sie denkt, stellt sie auch a priori in der Anschauung dar, und dieser      
  35 kann sicher nicht mehr noch weniger enthalten als der Begriff, weil      
  36 durch die Erklärung der Begriff von dem Gegenstande ursprünglich, d. i.      
  37 ohne die Erklärung irgend wovon abzuleiten, gegeben wurde. Die deutsche      
           
     

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