Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 438 |
|||||||
Zeile:
|
Text (Kant):
|
|
|
||||
01 | enthalten müßte, welches unmöglich ist; sondern auch, weil wir von | ||||||
02 | diesem Gesetz gar keinen bestimmten empirischen Gebrauch machen können, | ||||||
03 | indem dadurch nicht das geringste Merkmal der Affinität angezeigt wird, | ||||||
04 | nach welchem und wie weit wir die Gradfolge ihrer Verschiedenheit zu | ||||||
05 | suchen, sondern nichts weiter als eine allgemeine Anzeige, daß wir sie zu | ||||||
06 | suchen haben. | ||||||
07 | Wenn wir die jetzt angeführten Principien ihrer Ordnung nach versetzen, | ||||||
08 | um sie dem Erfahrungsgebrauch gemäß zu stellen, so würden | ||||||
09 | die Principien der systematischen Einheit etwa so stehen: Mannigfaltigkeit, | ||||||
10 | Verwandtschaft und Einheit, jede derselben aber als | ||||||
11 | Idee im höchsten Grade ihrer Vollständigkeit genommen. Die Vernunft | ||||||
12 | setzt die Verstandeserkenntnisse voraus, die zunächst auf Erfahrung angewandt | ||||||
13 | werden, und sucht ihre Einheit nach Ideen, die viel weiter geht, | ||||||
14 | als Erfahrung reichen kann. Die Verwandtschaft des Mannigfaltigen unbeschadet | ||||||
15 | seiner Verschiedenheit unter einem Princip der Einheit betrifft | ||||||
16 | nicht bloß die Dinge, sondern weit mehr noch die bloßen Eigenschaften | ||||||
17 | und Kräfte der Dinge. Daher, wenn uns z. B. durch eine (noch nicht | ||||||
18 | völlig berichtigte) Erfahrung der Lauf der Planeten als kreisförmig gegeben | ||||||
19 | ist, und wir finden Verschiedenheiten: so vermuthen wir sie in demjenigen, | ||||||
20 | was den Cirkel nach einem beständigen Gesetze durch alle unendliche | ||||||
21 | Zwischengrade zu einem dieser abweichenden Umläufe abändern kann, d. i. | ||||||
22 | die Bewegungen der Planeten, die nicht Cirkel sind, werden etwa dessen | ||||||
23 | Eigenschaften mehr oder weniger nahe kommen, und fallen auf die Ellipse. | ||||||
24 | Die Kometen zeigen eine noch größere Verschiedenheit ihrer Bahnen, da | ||||||
25 | sie (soweit Beobachtung reicht) nicht einmal im Kreise zurückkehren, allein | ||||||
26 | wir rathen auf einen parabolischen Lauf, der doch mit der Ellipsis verwandt | ||||||
27 | ist und, wenn die lange Achse der letzteren sehr weit gestreckt ist, in | ||||||
28 | allen unseren Beobachtungen von ihr nicht unterschieden werden kann. | ||||||
29 | So kommen wir nach Anleitung jener Principien auf Einheit der Gattungen | ||||||
30 | dieser Bahnen in ihrer Gestalt, dadurch aber weiter auf Einheit | ||||||
31 | der Ursache aller Gesetze ihrer Bewegung (die Gravitation); von da wir | ||||||
32 | nachher unsere Eroberungen ausdehnen und auch alle Varietäten und | ||||||
33 | scheinbare Abweichungen von jenen Regeln aus demselben Princip zu erklären | ||||||
34 | suchen, endlich gar mehr hinzufügen, als Erfahrung jemals bestätigen | ||||||
35 | kann, nämlich uns nach den Regeln der Verwandtschaft selbst hyperbolische | ||||||
36 | Kometenbahnen zu denken, in welchen diese Körper ganz und | ||||||
37 | gar unsere Sonnenwelt verlassen und, indem sie von Sonne zu Sonne | ||||||
[ Seite 437 ] [ Seite 439 ] [ Inhaltsverzeichnis ] |