Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 101

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 von Erfahrungen müssen aufzuzeigen haben. Diese versuchte physiologische      
  02 Ableitung, die eigentlich gar nicht Deduction heißen kann, weil      
  03 sie eine quaestionem facti betrifft, will ich daher die Erklärung des Besitzes      
  04 einer reinen Erkenntniß nennen. Es ist also klar, daß von diesen      
  05 allein es eine transscendentale Deduction und keinesweges eine empirische      
  06 geben könne, und daß letztere in Ansehung der reinen Begriffe a priori      
  07 nichts als eitele Versuche sind, womit sich nur derjenige beschäftigen      
  08 kann, welcher die ganz eigenthümliche Natur dieser Erkenntnisse nicht begriffen      
  09 hat.      
           
  10 Ob nun aber gleich die einzige Art einer möglichen Deduction der      
  11 reinen Erkenntniß a priori, nämlich die auf dem transscendentalen Wege,      
  12 eingeräumt wird, so erhellt dadurch doch eben nicht, daß sie so unumgänglich      
  13 nothwendig sei. Wir haben oben die Begriffe des Raumes und der      
  14 Zeit vermittelst einer transscendentalen Deduction zu ihren Quellen verfolgt      
  15 und ihre objective Gültigkeit a priori erklärt und bestimmt. Gleichwohl      
  16 geht die Geometrie ihren sichern Schritt durch lauter Erkenntnisse      
  17 a priori, ohne daß sie sich wegen der reinen und gesetzmäßigen Abkunft      
  18 ihres Grundbegriffs vom Raume von der Philosophie einen Beglaubigungsschein      
  19 erbitten darf. Allein der Gebrauch des Begriffs geht in      
  20 dieser Wissenschaft auch nur auf die äußere Sinnenwelt, von welcher der      
  21 Raum die reine Form ihrer Anschauung ist, in welcher also alle geometrische      
  22 Erkenntniß, weil sie sich auf Anschauung a priori gründet, unmittelbare      
  23 Evidenz hat, und die Gegenstände durch die Erkenntniß selbst      
  24 a priori (der Form nach) in der Anschauung gegeben werden. Dagegen      
  25 fängt mit den reinen Verstandesbegriffen das unumgängliche Bedürfniß      
  26 an, nicht allein von ihnen selbst, sondern auch vom Raum die      
  27 transscendentale Deduction zu suchen, weil, da sie von Gegenständen nicht      
  28 durch Prädicate der Anschauung und der Sinnlichkeit, sondern des reinen      
  29 Denkens a priori reden, sie sich auf Gegenstände ohne alle Bedingungen      
  30 der Sinnlichkeit allgemein beziehen, und die, da sie nicht auf Erfahrung      
  31 gegründet sind, auch in der Anschauung a priori kein Object vorzeigen      
  32 können, worauf sie vor aller Erfahrung ihre Synthesis gründeten, und      
  33 daher nicht allein wegen der objectiven Gültigkeit und Schranken ihres      
  34 Gebrauchs Verdacht erregen, sondern auch jenen Begriff des Raumes      
  35 zweideutig machen, dadurch daß sie ihn über die Bedingungen der sinnlichen      
           
     

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