Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 102

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 Anschauung zu gebrauchen geneigt sind, weshalb auch oben von ihm      
  02 eine transscendentale Deduction von nöthen war. So muß denn der Leser      
  03 von der unumgänglichen Nothwendigkeit einer solchen transscendentalen      
  04 Deduction, ehe er einen einzigen Schritt im Felde der reinen Vernunft      
  05 gethan hat, überzeugt werden, weil er sonst blind verfährt und, nachdem      
  06 er mannigfaltig umher geirrt hat, doch wieder zu der Unwissenheit zurückkehren      
  07 muß, von der er ausgegangen war. Er muß aber auch die unvermeidliche      
  08 Schwierigkeit zum voraus deutlich einsehen, damit er nicht über      
  09 Dunkelheit klage, wo die Sache selbst tief eingehüllt ist, oder über die Wegräumung      
  10 der Hindernisse zu früh verdrossen werde, weil es darauf ankommt,      
  11 entweder alle Ansprüche zu Einsichten der reinen Vernunft als      
  12 das beliebteste Feld, nämlich dasjenige über die Grenzen aller möglichen      
  13 Erfahrung hinaus, völlig aufzugeben, oder diese kritische Untersuchung      
  14 zur Vollkommenheit zu bringen.      
           
  15 Wir haben oben an den Begriffen des Raumes und der Zeit mit      
  16 leichter Mühe begreiflich machen können, wie diese als Erkenntnisse a priori      
  17 sich gleichwohl auf Gegenstände nothwendig beziehen müssen und eine      
  18 synthetische Erkenntniß derselben unabhängig von aller Erfahrung möglich      
  19 machten. Denn da nur vermittelst solcher reinen Formen der Sinnlichkeit      
  20 uns ein Gegenstand erscheinen, d. i. ein Object der empirischen      
  21 Anschauung sein kann, so sind Raum und Zeit reine Anschauungen, welche      
  22 die Bedingung der Möglichkeit der Gegenstände als Erscheinungen a priori      
  23 enthalten, und die Synthesis in denselben hat objective Gültigkeit.      
           
  24 Die Kategorien des Verstandes dagegen stellen uns gar nicht die Bedingungen      
  25 vor, unter denen Gegenstände in der Anschauung gegeben      
  26 werden, mithin können uns allerdings Gegenstände erscheinen, ohne daß      
  27 sie sich nothwendig auf Functionen des Verstandes beziehen müssen, und      
  28 dieser also die Bedingungen derselben a priori enthielte. Daher zeigt sich      
  29 hier eine Schwierigkeit, die wir im Felde der Sinnlichkeit nicht antrafen,      
  30 wie nämlich subjective Bedingungen des Denkens sollten objective      
  31 Gültigkeit haben, d. i. Bedingungen der Möglichkeit aller Erkenntniß der      
  32 Gegenstände abgeben: denn ohne Functionen des Verstandes können allerdings      
  33 Erscheinungen in der Anschauung gegeben werden. Ich nehme z. B.      
  34 den Begriff der Ursache, welcher eine besondere Art der Synthesis bedeutet,      
  35 da auf etwas A was ganz Verschiedenes B nach einer Regel gesetzt      
  36 wird. Es ist a priori nicht klar, warum Erscheinungen etwas dergleichen      
  37 enthalten sollten (denn Erfahrungen kann man nicht zum Beweise anführen,      
           
     

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