Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 016 |
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01 | von ihr muß gesagt werden können: nil actum reputans, si quid superesset | ||||||
02 | agendum. | ||||||
03 | Aber was ist denn das, wird man fragen, für ein Schatz, den wir der | ||||||
04 | Nachkommenschaft mit einer solchen durch Kritik geläuterten, dadurch aber | ||||||
05 | auch in einen beharrlichen Zustand gebrachten Metaphysik zu hinterlassen | ||||||
06 | gedenken? Man wird bei einer flüchtigen Übersicht dieses Werks wahrzunehmen | ||||||
07 | glauben, daß der Nutzen davon doch nur negativ sei, uns nämlich | ||||||
08 | mit der speculativen Vernunft niemals über die Erfahrungsgrenze | ||||||
09 | hinaus zu wagen, und das ist auch in der That ihr erster Nutzen. Dieser | ||||||
10 | aber wird alsbald positiv, wenn man inne wird, daß die Grundsätze, | ||||||
11 | mit denen sich speculative Vernunft über ihre Grenze hinauswagt, in der | ||||||
12 | That nicht Erweiterung, sondern, wenn man sie näher betrachtet, Verengung | ||||||
13 | unseres Vernunftgebrauchs zum unausbleiblichen Erfolg haben, | ||||||
14 | indem sie wirklich die Grenzen der Sinnlichkeit, zu der sie eigentlich gehören, | ||||||
15 | über alles zu erweitern und so den reinen (praktischen) Vernunftgebrauch | ||||||
16 | gar zu verdrängen drohen. Daher ist eine Kritik, welche die | ||||||
17 | erstere einschränkt, so fern zwar negativ, aber, indem sie dadurch zugleich | ||||||
18 | ein Hinderniß, welches den letzteren Gebrauch einschränkt, oder gar zu vernichten | ||||||
19 | droht, aufhebt, in der That von positivem und sehr wichtigem | ||||||
20 | Nutzen, so bald man überzeugt wird, daß es einen schlechterdings nothwendigen | ||||||
21 | praktischen Gebrauch der reinen Vernunft (den moralischen) | ||||||
22 | gebe, in welchem sie sich unvermeidlich über die Grenzen der Sinnlichkeit | ||||||
23 | erweitert, dazu sie zwar von der speculativen keiner Beihülfe bedarf, dennoch | ||||||
24 | aber wider ihre Gegenwirkung gesichert sein muß, um nicht in Widerspruch | ||||||
25 | mit sich selbst zu gerathen. Diesem Dienste der Kritik den positiven | ||||||
26 | Nutzen abzusprechen, wäre eben so viel als sagen, daß Polizei keinen | ||||||
27 | positiven Nutzen schaffe, weil ihr Hauptgeschäfte doch nur ist, der Gewaltthätigkeit, | ||||||
28 | welche Bürger von Bürgern zu besorgen haben, einen Riegel | ||||||
29 | vorzuschieben, damit ein jeder seine Angelegenheit ruhig und sicher treiben | ||||||
30 | könne. Daß Raum und Zeit nur Formen der sinnlichen Anschauung, also | ||||||
31 | nur Bedingungen der Existenz der Dinge als Erscheinungen sind, daß | ||||||
32 | wir ferner keine Verstandesbegriffe, mithin auch gar keine Elemente zur | ||||||
33 | Erkenntniß der Dinge haben, als so fern diesen Begriffen correspondirende | ||||||
34 | Anschauung gegeben werden kann, folglich wir von keinem Gegenstande | ||||||
35 | als Dinge an sich selbst, sondern nur so fern es Object der sinnlichen Anschauung | ||||||
36 | ist, d. i. als Erscheinung, Erkenntniß haben können, wird im | ||||||
37 | analytischen Theile der Kritik bewiesen; woraus denn freilich die Einschränkung | ||||||
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