Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 015 |
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01 | In jenem Versuche, das bisherige Verfahren der Metaphysik umzüandern, | ||||||
02 | und dadurch, daß wir nach dem Beispiele der Geometer und Naturforscher | ||||||
03 | eine gänzliche Revolution mit derselben vornehmen, besteht | ||||||
04 | nun das Geschäfte dieser Kritik der reinen speculativen Vernunft. Sie ist | ||||||
05 | ein Tractat von der Methode, nicht ein System der Wissenschaft selbst; | ||||||
06 | aber sie verzeichnet gleichwohl den ganzen Umriß derselben sowohl in Ansehung | ||||||
07 | ihrer Grenzen, als auch den ganzen inneren Gliederbau derselben. | ||||||
08 | Denn das hat die reine speculative Vernunft Eigenthümliches an sich, | ||||||
09 | daß sie ihr eigen Vermögen nach Verschiedenheit der Art, wie sie sich Objecte | ||||||
10 | zum Denken wählt, ausmessen und auch selbst die mancherlei Arten, | ||||||
11 | sich Aufgaben vorzulegen, vollständig vorzählen und so den ganzen Vorriß | ||||||
12 | zu einem System der Metaphysik verzeichnen kann und soll; weil, was | ||||||
13 | das erste betrifft, in der Erkenntniß a priori den Objecten nichts beigelegt | ||||||
14 | werden kann, als was das denkende Subject aus sich selbst hernimmt, | ||||||
15 | und, was das zweite anlangt, sie in Ansehung der Erkenntnißprincipien | ||||||
16 | eine ganz abgesonderte, für sich bestehende Einheit ist, in welcher ein jedes | ||||||
17 | Glied wie in einem organisirten Körper um aller anderen und alle um | ||||||
18 | eines Willen dasind, und kein Princip mit Sicherheit in einer Beziehung | ||||||
19 | genommen werden kann, ohne es zugleich in der durchgängigen Beziehung | ||||||
20 | zum ganzen reinen Vernunftgebrauch untersucht zu haben. Dafür | ||||||
21 | aber hat auch die Metaphysik das seltene Glück, welches keiner andern | ||||||
22 | Vernunftwissenschaft, die es mit Objecten zu thun hat, (denn die Logik | ||||||
23 | beschäftigt sich nur mit der Form des Denkens überhaupt) zu Theil werden | ||||||
24 | kann, daß, wenn sie durch diese Kritik in den sicheren Gang einer | ||||||
25 | Wissenschaft gebracht worden, sie das ganze Feld der für sie gehörigen Erkenntnisse | ||||||
26 | völlig befassen und also ihr Werk vollenden und für die Nachwelt | ||||||
27 | als einen nie zu vermehrenden Hauptstuhl zum Gebrauche niederlegen | ||||||
28 | kann, weil sie es bloß mit Principien und den Einschränkungen ihres Gebrauchs | ||||||
29 | zu thun hat, welche durch jene selbst bestimmt werden. Zu dieser | ||||||
30 | Vollständigkeit ist sie daher als Grundwissenschaft auch verbunden, und | ||||||
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