| Kant: AA II, Träume eines Geistersehers, ... , Seite 334 | |||||||
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| 01 | Evidenz weit gnug entfernt ist, gleichwohl aber zu nicht unangenehmen | ||||||
| 02 | Vermuthungen Anlaß zu geben scheint. | ||||||
| 03 | Unter den Kräften, die das menschliche Herz bewegen, scheinen einige | ||||||
| 04 | der mächtigsten außerhalb demselben zu liegen, die also nicht etwa als | ||||||
| 05 | bloße Mittel sich auf die Eigennützigkeit und Privatbedürfniß als auf ein | ||||||
| 06 | Ziel, das innerhalb dem Menschen selbst liegt, beziehen, sondern welche | ||||||
| 07 | machen, daß die Tendenzen unserer Regungen den Brennpunkt ihrer Vereinigung | ||||||
| 08 | außer uns in andere vernünftige Wesen versetzen; woraus ein | ||||||
| 09 | Streit zweier Kräfte entspringt, nämlich der Eigenheit, die alles auf sich | ||||||
| 10 | bezieht, und der Gemeinnützigkeit, dadurch das Gemüth gegen andere außer | ||||||
| 11 | sich getrieben oder gezogen wird. Ich halte mich bei dem Triebe nicht | ||||||
| 12 | auf, vermöge dessen wir so stark und so allgemein am Urtheile anderer | ||||||
| 13 | hängen und fremde Billigung oder Beifall zur Vollendung des unsrigen | ||||||
| 14 | von uns selbst so nöthig zu sein erachten, woraus, wenn gleich bisweilen | ||||||
| 15 | ein übelverstandener Ehrenwahn entspringt, dennoch selbst in der uneigennützigsten | ||||||
| 16 | und wahrhaftesten Gemüthsart ein geheimer Zug verspürt | ||||||
| 17 | wird, dasjenige, was man für sich selbst als gut oder wahr erkennt, mit | ||||||
| 18 | dem Urtheil anderer zu vergleichen, um beide einstimmig zu machen, imgleichen | ||||||
| 19 | eine jede menschliche Seele auf dem Erkenntnißwege gleichsam | ||||||
| 20 | anzuhalten, wenn sie einen andern Fußsteig zu gehen scheint, als den wir | ||||||
| 21 | eingeschlagen haben, welches alles vielleicht eine empfundene Abhängigkeit | ||||||
| 22 | unserer eigenen Urtheile vom allgemeinen menschlichen Verstande | ||||||
| 23 | ist und ein Mittel wird, dem Ganzen denkender Wesen eine Art von Vernunfteinheit | ||||||
| 24 | zu verschaffen. | ||||||
| 25 | Ich übergehe aber diese sonst nicht unerhebliche Betrachtung und | ||||||
| 26 | halte mich für jetzt an eine andere, welche einleuchtender und beträchtlicher | ||||||
| 27 | ist, so viel es unsere Absicht betrifft. Wenn wir äußere Dinge auf unser | ||||||
| 28 | Bedürfniß beziehen, so können wir dieses nicht thun, ohne uns zugleich | ||||||
| 29 | durch eine gewisse Empfindung gebunden und eingeschränkt zu fühlen, die | ||||||
| 30 | uns merken läßt, daß in uns gleichsam ein fremder Wille wirksam sei, und | ||||||
| 31 | unser eigen Belieben die Bedingung von äußerer Beistimmung nöthig | ||||||
| 32 | habe. Eine geheime Macht nöthigt uns unsere Absicht zugleich auf anderer | ||||||
| 33 | wohl oder nach fremder Willkür zu richten, ob dieses gleich öfters ungern | ||||||
| 34 | geschieht und der eigennützigen Neigung stark widerstreitet, und der Punkt, | ||||||
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