| Kant: AA II, Träume eines Geistersehers, ... , Seite 324 | |||||||
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| 01 | Raum einnimmt, ist ausgedehnt; die Substanzen aber, welche Elemente | ||||||
| 02 | der Materie sind, nehmen einen Raum nur durch die äußere Wirkung in | ||||||
| 03 | andere ein, für sich besonders aber, wo keine andre Dinge in Verknüpfung | ||||||
| 04 | mit ihnen gedacht werden, und da in ihnen selbst auch nichts außer einander | ||||||
| 05 | Befindliches anzutreffen ist, enthalten sie keinen Raum. Dieses gilt | ||||||
| 06 | von Körperelementen. Dieses würde auch von geistigen Naturen gelten. | ||||||
| 07 | Die Grenzen der Ausdehnung bestimmen die Figur. An ihnen würde | ||||||
| 08 | also keine Figur gedacht werden können. Dieses sind schwer einzusehende | ||||||
| 09 | Gründe der vermutheten Möglichkeit immaterieller Wesen in dem Weltganzen. | ||||||
| 10 | Wer im Besitze leichterer Mittel ist, die zu dieser Einsicht führen | ||||||
| 11 | können, der versage seinen Unterricht einem Lehrbegierigen nicht, vor | ||||||
| 12 | dessen Augen im Fortschritt der Untersuchung sich öfters Alpen erheben, | ||||||
| 13 | wo andere einen ebenen und gemächlichen Fußsteig vor sich sehen, den sie | ||||||
| 14 | fortwandern oder zu wandern glauben. | ||||||
| 15 | Gesetzt nun, man hätte bewiesen, die Seele des Menschen sei ein Geist | ||||||
| 16 | (wiewohl aus dem vorigen zu sehen ist, daß ein solcher Beweis noch niemals | ||||||
| 17 | geführt worden), so würde die nächste Frage, die man thun könnte, | ||||||
| 18 | etwa diese sein: Wo ist der Ort dieser menschlichen Seele in der Körperwelt? | ||||||
| 19 | Ich würde antworten: Derjenige Körper, dessen Veränderungen | ||||||
| 20 | meine Veränderungen sind, dieser Körper ist mein Körper, und der Ort | ||||||
| 21 | desselben ist zugleich mein Ort. Setzt man die Frage weiter fort: Wo | ||||||
| 22 | ist denn dein Ort (der Seele) in diesem Körper?, so würde ich etwas Verfängliches | ||||||
| 23 | in dieser Frage vermuthen. Denn man bemerkt leicht, daß darin | ||||||
| 24 | etwas schon vorausgesetzt werde, was nicht durch Erfahrung bekannt | ||||||
| 25 | ist, sondern vielleicht auf eingebildeten Schlüssen beruht: nämlich daß mein | ||||||
| 26 | denkendes Ich in einem Orte sei, der von den Örtern anderer Theile desjenigen | ||||||
| 27 | Körpers, der zu meinem Selbst gehört, unterschieden wäre. Niemand | ||||||
| 28 | aber ist sich eines besondern Orts in seinem Körper unmittelbar | ||||||
| 29 | bewußt, sondern desjenigen, den er als Mensch in Ansehung der Welt | ||||||
| 30 | umher einnimmt. Ich würde mich also an der gemeinen Erfahrung halten | ||||||
| 31 | und vorläufig sagen: Wo ich empfinde, da bin ich. Ich bin eben so | ||||||
| 32 | unmittelbar in der Fingerspitze wie in dem Kopfe. Ich bin es selbst, der | ||||||
| 33 | in der Ferse leidet und welchem das Herz im Affecte klopft. Ich fühle den | ||||||
| 34 | schmerzhaften Eindruck nicht an einer Gehirnnerve, wenn mich mein Leichdorn | ||||||
| 35 | peinigt, sondern am Ende meiner Zehen. Keine Erfahrung lehrt | ||||||
| 36 | mich einige Theile meiner Empfindung von mir für entfernt zu halten, | ||||||
| 37 | mein untheilbares Ich in ein mikroskopisch kleines Plätzchen des Gehirnes | ||||||
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