Kant: AA II, Träume eines Geistersehers, ... , Seite 318 |
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| 01 | Soll er auch nur eine einzige dieser Erzählungen als wahrscheinlich | ||||||
| 02 | einräumen? Wie wichtig wäre ein solches Geständniß, und in welche erstaunliche | ||||||
| 03 | Folgen sieht man hinaus, wenn auch nur eine solche Begebenheit | ||||||
| 04 | als bewiesen vorausgesetzt werden könnte! Es ist wohl noch ein dritter | ||||||
| 05 | Fall übrig, nämlich sich mit dergleichen vorwitzigen oder müßigen Fragen | ||||||
| 06 | gar nicht zu bemengen und sich an das Nützliche zu halten. Weil | ||||||
| 07 | dieser Anschlag aber vernünftig ist, so ist er jederzeit von gründlichen Gelehrten | ||||||
| 08 | durch die Mehrheit der Stimmen verworfen worden. | ||||||
| 09 | Da es eben so wohl ein dummes Vorurtheil ist, von vielem, das mit | ||||||
| 10 | einigem Schein der Wahrheit erzählt wird, ohne Grund Nichts zu glauben, | ||||||
| 11 | als von dem, was das gemeine Gerücht sagt, ohne Prüfung Alles | ||||||
| 12 | zu glauben, so ließ sich der Verfasser dieser Schrift, um dem ersten Vorurtheile | ||||||
| 13 | auszuweichen, zum Theil von dem letzteren fortschleppen. Er bekennt | ||||||
| 14 | mit einer gewissen Demüthigung, daß er so treuherzig war, der | ||||||
| 15 | Wahrheit einiger Erzählungen von der erwähnten Art nachzuspüren. Er | ||||||
| 16 | fand - - - wie gemeiniglich, wo man nichts zu suchen hat - - | ||||||
| 17 | er fand nichts. Nun ist dieses wohl an sich selbst schon eine hinlängliche | ||||||
| 18 | Ursache, ein Buch zu schreiben; allein es kam noch dasjenige hinzu, was | ||||||
| 19 | bescheidenen Verfassern schon mehrmals Bücher abgedrungen hat, das | ||||||
| 20 | ungestüme Anhalten bekannter und unbekannter Freunde. Überdem war | ||||||
| 21 | ein großes Werk gekauft und, welches noch schlimmer ist, gelesen worden, | ||||||
| 22 | und diese Mühe sollte nicht verloren sein. Daraus entstand nun die gegenwärtige | ||||||
| 23 | Abhandlung, welche, wie man sich schmeichelt, den Leser nach der | ||||||
| 24 | Beschaffenheit der Sache völlig befriedigen soll, indem er das Vornehmste | ||||||
| 25 | nicht verstehen, das andere nicht glauben, das übrige aber belachen wird. | ||||||
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