Kant: AA II, Untersuchung über die ... , Seite 289

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 sowohl in der Metaphysik, wie in andern Wissenschaften sagen könne, ohne      
  02 ihn erklärt zu haben. Denn hier ist weder, was ein Körper, noch was der      
  03 Raum sei, erklärt worden, und von beiden hat man dennoch zuverlässige      
  04 Sätze. Das Vornehmste, worauf ich gehe, ist dieses: daß man in der Metaphysik      
  05 durchaus analytisch verfahren müsse, denn ihr Geschäfte ist in der      
  06 That, verworrene Erkenntnisse aufzulösen. Vergleicht man hiemit das      
  07 Verfahren der Philosophen, so wie es in allen Schulen im Schwange ist,      
  08 wie verkehrt wird man es nicht finden! Die allerabgezogenste Begriffe,      
  09 darauf der Verstand natürlicher Weise zuletzt hinausgeht, machen bei      
  10 ihnen den Anfang, weil ihnen einmal der Plan des Mathematikers im      
  11 Kopfe ist, den sie durchaus nachahmen wollen. Daher findet sich ein sonderbarer      
  12 Unterschied zwischen der Metaphysik und jeder andern Wissenschaft.      
  13 In der Geometrie und andern Erkenntnissen der Größenlehre fängt      
  14 man von dem Leichteren an und steigt langsam zu schwereren Ausübungen.      
  15 In der Metaphysik wird der Anfang vom Schwersten gemacht: von      
  16 der Möglichkeit und dem Dasein überhaupt, der Nothwendigkeit und Zufälligkeit      
  17 etc., lauter Begriffe, zu denen eine große Abstraction und      
  18 Aufmerksamkeit gehört, vornehmlich da ihre Zeichen in der Anwendung      
  19 viele unmerkliche Abartungen erleiden, deren Unterschied nicht muß aus      
  20 der Acht gelassen werden. Es soll durchaus synthetisch verfahren werden.      
  21 Man erklärt daher gleich anfangs und folgert daraus mit Zuversicht. Die      
  22 Philosophen in diesem Geschmacke wünschen einander Glück, daß sie das      
  23 Geheimniß gründlich zu denken dem Meßkünstler abgelernt hätten, und      
  24 bemerken gar nicht, daß diese durchs Zusammensetzen Begriffe erwerben,      
  25 da jene es durch Auflösen allein thun können, welches die Methode      
  26 zu denken ganz verändert.      
           
  27 So bald dagegen die Philosophen den natürlichen Weg der gesunden      
  28 Vernunft einschlagen werden, zuerst dasjenige, was sie gewiß von dem      
  29 abgezogenen Begriffe eines Gegenstandes (z. E. dem Raume oder Zeit)      
  30 wissen, aufzusuchen, ohne noch einigen Anspruch auf die Erklärungen zu      
  31 machen; wenn sie nur aus diesen sichern Datis schließen, wenn sie bei      
  32 jeder veränderten Anwendung eines Begriffs Acht haben, ob der Begriff      
  33 selber, unerachtet sein Zeichen einerlei ist, nicht hier verändert sei; so werden      
  34 sie vielleicht nicht so viel Einsichten feil zu bieten haben, aber diejenige,      
  35 die sie darlegen, werden von einem sichern Werthe sein. Von dem      
  36 letzteren will ich noch ein Beispiel anführen. Die mehrste Philosophen      
  37 führen als ein Exempel dunkler Begriffe diejenige an, die wir im tiefen      
           
     

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