Kant: AA II, Untersuchung über die ... , Seite 279 |
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| 01 | besteht, anzeigen, noch in ihren Verknüpfungen die Verhältnisse der philosophischen | ||||||
| 02 | Gedanken zu bezeichnen vermögen. Daher man bei jedem Nachdenken | ||||||
| 03 | in dieser Art der Erkenntniß die Sache selbst vor Augen haben mu | ||||||
| 04 | und genöthigt ist, sich das Allgemeine in abstracto vorzustellen, ohne dieser | ||||||
| 05 | wichtigen Erleichterung sich bedienen zu können, daß man einzelne Zeichen | ||||||
| 06 | statt der allgemeinen Begriffe der Sachen selbst behandle. Wenn z. E. der | ||||||
| 07 | Meßkünstler darthun will, daß der Raum ins unendliche theilbar sei, so | ||||||
| 08 | nimmt er etwa eine gerade Linie, die zwischen zwei Parallelen senkrecht | ||||||
| 09 | steht, und zieht aus einem Punkt einer dieser gleichlaufenden Linien andere, | ||||||
| 10 | die solche schneiden. Er erkennt an diesem Symbolo mit größter Gewißheit, | ||||||
| 11 | daß die Zertheilung ohne Ende fortgehen müsse. Dagegen wenn der | ||||||
| 12 | Philosoph etwa darthun will, daß ein jeder Körper aus einfachen Substanzen | ||||||
| 13 | bestehe, so wird er sich erstlich versichern, daß er überhaupt ein | ||||||
| 14 | ganzes aus Substanzen sei, daß bei diesen die Zusammensetzung ein zufälliger | ||||||
| 15 | Zustand sei, ohne den sie gleichwohl existiren können, daß mithin | ||||||
| 16 | alle Zusammensetzung in einem Körper in Gedanken könne aufgehoben | ||||||
| 17 | werden, so doch, daß die Substanzen, daraus er besteht, existiren; und da | ||||||
| 18 | dasjenige, was von einem zusammengesetzten bleibt, wenn alle Zusammensetzung | ||||||
| 19 | überhaupt aufgehoben worden, einfach ist, daß der Körper aus | ||||||
| 20 | einfachen Substanzen bestehen müsse. Hier können weder Figuren noch | ||||||
| 21 | sichtbare Zeichen die Gedanken noch deren Verhältnisse ausdrücken, auch | ||||||
| 22 | läßt sich keine Versetzung der Zeichen nach Regeln an die Stelle der abstracten | ||||||
| 23 | Betrachtung setzen, so daß man die Vorstellung der Sachen selbst | ||||||
| 24 | in diesem Verfahren mit der kläreren und leichteren der Zeichen vertauschte, | ||||||
| 25 | sondern das Allgemeine muß in abstracto erwogen werden. | ||||||
| 26 | § 3. |
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| 27 | In der Mathematik sind nur wenig unauflösliche Begriffe |
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| 28 | und unerweisliche Sätze, in der Philosophie aber unzählige. |
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| 29 | Der Begriff der Größe überhaupt, der Einheit, der Menge, des | ||||||
| 30 | Raums etc. sind zum mindesten in der Mathematik unauflöslich, nämlich | ||||||
| 31 | ihre Zergliederung und Erklärung gehört gar nicht für diese Wissenschaft. | ||||||
| 32 | Ich weiß wohl, daß manche Meßkünstler die Grenzen der Wissenschaften | ||||||
| 33 | vermengen und in der Größenlehre bisweilen philosophiren wollen, | ||||||
| 34 | weswegen sie dergleichen Begriffe noch zu erklären suchen, obgleich die | ||||||
| 35 | Definition in solchem Falle gar keine mathematische Folge hat. Allein es | ||||||
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