Kant: AA II, Beobachtungen über das ... , Seite 237 |
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01 | dagegen die rothe und blühende Farbe weniger von der ersteren, | ||||||
02 | allein mehr von der fröhlichen und muntern Gemüthsart ankündigt; es | ||||||
03 | ist aber der Eitelkeit gemäßer zu rühren und zu fesseln als zu reizen und | ||||||
04 | anzulocken. Es können dagegen Personen ohne alles moralische Gefühl | ||||||
05 | und ohne einigen Ausdruck, der auf Empfindungen deutete, sehr hübsch | ||||||
06 | sein, allein sie werden weder rühren noch reizen, es sei denn denjenigen | ||||||
07 | derben Geschmack, von dem wir Erwähnung gethan haben, welcher sich | ||||||
08 | bisweilen etwas verfeinert und dann nach seiner Art auch wählt. Es ist | ||||||
09 | schlimm, daß dergleichen schöne Geschöpfe leichtlich in den Fehler der Aufgeblasenheit | ||||||
10 | verfallen durch das Bewußtsein der schönen Figur, die | ||||||
11 | ihnen ihr Spiegel zeigt, und aus einem Mangel feinerer Empfindungen; | ||||||
12 | da sie dann alles gegen sich kaltsinnig machen, den Schmeichler ausgenommen, | ||||||
13 | der auf Absichten ausgeht und Ränke schmiedet. | ||||||
14 | Man kann nach diesen Begriffen vielleicht etwas von der so verschiedenen | ||||||
15 | Wirkung verstehen, die die Gestalt eben desselben Frauenzimmers | ||||||
16 | auf den Geschmack der Männer thut. Dasjenige, was in diesem | ||||||
17 | Eindrucke sich zu nahe auf den Geschlechtertrieb bezieht und mit dem besondern | ||||||
18 | wollüstigen Wahne, darin sich eines jeden Empfindung einkleidet, | ||||||
19 | einstimmig sein mag, berühre ich nicht, weil es außer dem Bezirke | ||||||
20 | des feinern Geschmackes ist; und es kann vielleicht richtig sein, was der | ||||||
21 | Herr v. Buffon vermuthet, daß diejenige Gestalt, die den ersten Eindruck | ||||||
22 | macht, zu der Zeit, wenn dieser Trieb noch neu ist und sich zu entwickeln | ||||||
23 | anfängt, das Urbild bleibe, worauf in der künftigen Zeit alle weibliche | ||||||
24 | Bildungen mehr oder weniger einschlagen müssen, welche die phantastische | ||||||
25 | Sehnsucht rege machen können, dadurch eine ziemlich grobe Neigung unter | ||||||
26 | den verschiedenen Gegenständen eines Geschlechts zu wählen genöthigt | ||||||
27 | wird. Was den etwas feineren Geschmack anlangt, so behaupte ich, daß | ||||||
28 | diejenige Art von Schönheit, welche wir die hübsche Gestalt genannt | ||||||
29 | haben, von allen Männern ziemlich gleichförmig beurtheilt werde, und | ||||||
30 | daß darüber die Meinungen nicht so verschieden seien, wie man wohl gemeiniglich | ||||||
31 | dafür hält. Die circassische und georgische Mädchen sind | ||||||
32 | von allen Europäern, die durch ihre Länder reisen, jederzeit für überaus | ||||||
33 | hübsch gehalten worden. Die Türken, die Araber, die Perser müssen | ||||||
34 | wohl mit diesem Geschmacke sehr einstimmig sein, weil sie sehr begierig | ||||||
35 | sind ihre Völkerschaft durch so feines Blut zu verschönern, und man merkt | ||||||
36 | auch an, daß der persischen Race dieses wirklich gelungen ist. Die Kaufleute | ||||||
37 | von Indostan ermangeln gleichfalls nicht, von einem boshaften | ||||||
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