Kant: AA II, Beobachtungen über das ... , Seite 231 |
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| 01 | Verhältnisse, darin es in andern Zeitaltern oder in fremden Landen | ||||||
| 02 | gegen das männliche gestanden, der Charakter beider, so fern er sich hiedurch | ||||||
| 03 | erläutern läßt, und der veränderliche Geschmack der Vergnügungen | ||||||
| 04 | machen ihre ganze Geschichte und Geographie aus. Es ist schön, daß einem | ||||||
| 05 | Frauenzimmer der Anblick einer Karte, die entweder den ganzen Erdkreis | ||||||
| 06 | oder die vornehmste Theile der Welt vorstellt, angenehm gemacht werde. | ||||||
| 07 | Dieses geschieht dadurch, daß man sie nur in der Absicht vorlegt, um die | ||||||
| 08 | unterschiedliche Charaktere der Völker, die sie bewohnen, die Verschiedenheiten | ||||||
| 09 | ihres Geschmacks und sittlichen Gefühls, vornehmlich in Ansehung | ||||||
| 10 | der Wirkung, die diese auf die Geschlechterverhältnisse haben, dabei zu | ||||||
| 11 | schildern, mit einigen leichten Erläuterungen aus der Verschiedenheit der | ||||||
| 12 | Himmelsstriche, ihrer Freiheit oder Sklaverei. Es ist wenig daran gelegen, | ||||||
| 13 | ob sie die besondere Abtheilungen dieser Länder, ihr Gewerbe, macht und | ||||||
| 14 | Beherrscher wissen oder nicht. Eben so werden sie von dem Weltgebäude | ||||||
| 15 | nichts mehr zu kennen nöthig haben, als nöthig ist, den Anblick des Himmels | ||||||
| 16 | an einem schönen Abende ihnen rührend zu machen, wenn sie einigermaßen | ||||||
| 17 | begriffen haben, daß noch mehr Welten und daselbst noch mehr | ||||||
| 18 | schöne Geschöpfe anzutreffen sind. Gefühl für Schildereien von Ausdruck | ||||||
| 19 | und für die Tonkunst, nicht in so fern sie Kunst, sondern Empfindung | ||||||
| 20 | äußert, alles dieses verfeinert oder erhebt den Geschmack dieses Geschlechts | ||||||
| 21 | und hat jederzeit einige Verknüpfung mit sittlichen Regungen. Niemals | ||||||
| 22 | ein kalter und speculativer Unterricht, jederzeit Empfindungen, und zwar | ||||||
| 23 | die so nahe wie möglich bei ihrem Geschlechtverhältnisse bleiben. Diese | ||||||
| 24 | Unterweisung ist darum so selten, weil sie Talente, Erfahrenheit und ein | ||||||
| 25 | Herz voll Gefühl erfordert, und jeder andern kann das Frauenzimmer sehr | ||||||
| 26 | wohl entbehren, wie es denn auch ohne diese sich von selbst gemeiniglich | ||||||
| 27 | sehr wohl ausbildet. | ||||||
| 28 | Die Tugend des Frauenzimmers ist eine schöne Tugend.*) Die | ||||||
| 29 | des männlichen Geschlechts soll eine edele Tugend sein. Sie werden das | ||||||
| 30 | Böse vermeiden, nicht weil es unrecht, sondern weil es häßlich ist, und | ||||||
| 31 | tugendhafte Handlungen bedeuten bei ihnen solche, die sittlich schön sind. | ||||||
| 32 | Nichts von Sollen, nichts von Müssen, nichts von Schuldigkeit. Das | ||||||
| 33 | Frauenzimmer ist aller Befehle und alles mürrischen Zwanges unleidlich. | ||||||
| *) Diese wurde oben, S. 24 [ 217 ], in einem strengen Urtheil adoptirte Tugend genannt; hier, da sie um des Geschlechtscharakters willen eine günstige Rechtfertigung verdient, heißt sie überhaupt eine schöne Tugend. | |||||||
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