Kant: AA II, Beobachtungen über das ... , Seite 228 |
|||||||
Zeile:
|
Text (Kant):
|
|
|
||||
| 01 | Dritter Abschnitt. |
||||||
| 02 | Von dem Unterschiede des Erhabenen und Schönen in dem |
||||||
| 03 | Gegenverhältniß beider Geschlechter. |
||||||
| 04 | Derjenige, so zuerst das Frauenzimmer unter dem Namen des schönen | ||||||
| 05 | Geschlechts begriffen hat, kann vielleicht etwas Schmeichelhaftes | ||||||
| 06 | haben sagen wollen, aber er hat es besser getroffen, als er wohl selbst geglaubt | ||||||
| 07 | haben mag. Denn ohne in Erwägung zu ziehen, daß ihre Gestalt | ||||||
| 08 | überhaupt feiner, ihre Züge zärter und sanfter, ihre Miene im Ausdrucke | ||||||
| 09 | der Freundlichkeit, des Scherzes und der Leutseligkeit bedeutender und einnehmender | ||||||
| 10 | ist, als bei dem männlichen Geschlecht, ohne auch dasjenige zu | ||||||
| 11 | vergessen, was man für die geheime Zauberkraft abrechnen muß, wodurch | ||||||
| 12 | sie unsere Leidenschaft zum vortheilhaften Urtheile für sie geneigt machen, | ||||||
| 13 | so liegen vornehmlich in dem Gemüthscharakter dieses Geschlechts eigenthümliche | ||||||
| 14 | Züge, die es von dem unseren deutlich unterscheiden und die darauf | ||||||
| 15 | hauptsächlich hinauslaufen, sie durch das Merkmal des Schönen kenntlich | ||||||
| 16 | zu machen. Andererseits könnten wir auf die Benennung des edlen | ||||||
| 17 | Geschlechts Anspruch machen, wenn es nicht auch von einer edlen Gemüthsart | ||||||
| 18 | erfordert würde, Ehrennamen abzulehnen und sie lieber zu ertheilen | ||||||
| 19 | als zu empfangen. Hiedurch wird nun nicht verstanden: daß das | ||||||
| 20 | Frauenzimmer edeler Eigenschaften ermangelte, oder das männliche Geschlecht | ||||||
| 21 | der Schönheiten gänzlich entbehren müßte, vielmehr erwartet man, | ||||||
| 22 | daß ein jedes Geschlecht beide vereinbare, doch so, daß von einem Frauenzimmer | ||||||
| 23 | alle andere Vorzüge sich nur dazu vereinigen sollen, um den Charakter | ||||||
| 24 | des Schönen zu erhöhen, welcher der eigentliche Beziehungspunkt | ||||||
| 25 | ist, und dagegen unter den männlichen Eigenschaften das Erhabene als | ||||||
| 26 | das Kennzeichen seiner Art deutlich hervorsteche. Hierauf müssen alle Urtheile | ||||||
| 27 | von diesen zwei Gattungen, sowohl die rühmliche als die des Tadels, | ||||||
| 28 | sich beziehen, alle Erziehung und Unterweisung muß dieses vor Augen | ||||||
| 29 | haben und alle Bemühung, die sittliche Vollkommenheit des einen oder des | ||||||
| 30 | andern zu befördern, wo man nicht den reizenden Unterschied unkenntlich | ||||||
| 31 | machen will, den die Natur zwischen zwei Menschengattungen hat treffen | ||||||
| 32 | wollen. Denn es ist hier nicht genug sich vorzustellen, daß man Menschen | ||||||
| 33 | vor sich habe, man muß zugleich nicht aus der Acht lassen, daß diese Menschen | ||||||
| 34 | nicht von einerlei Art sind. | ||||||
| [ Seite 227 ] [ Seite 229 ] [ Inhaltsverzeichnis ] |
|||||||