Kant: AA II, Der einzig mögliche ... , Seite 156 |
|||||||
Zeile:
|
Text (Kant):
|
|
|
||||
01 | des Existirenden, hergenommen werden. In dem ersteren Falle | ||||||
02 | wird entweder von dem Möglichen als einem Grunde auf das Dasein | ||||||
03 | Gottes als eine Folge, oder aus dem Möglichen als einer Folge auf die | ||||||
04 | göttliche Existenz als einen Grund geschlossen. Im zweiten Falle wird | ||||||
05 | wiederum entweder aus demjenigen, dessen Dasein wir erfahren, blos auf | ||||||
06 | die Existenz einer ersten und unabhängigen Ursache, vermittelst der | ||||||
07 | Zergliederung dieses Begriffs aber auf die göttliche Eigenschaften derselben | ||||||
08 | geschlossen, oder es werden aus dem, was die Erfahrung lehrt, sowohl | ||||||
09 | das Dasein als auch die Eigenschaften desselben unmittelbar gefolgert. | ||||||
10 | 2. |
||||||
11 | Prüfung der Beweisgründe der ersten Art. |
||||||
12 | Wenn aus dem Begriffe des blos Möglichen als einem Grunde | ||||||
13 | das Dasein als eine Folgerung soll geschlossen werden, so muß durch die | ||||||
14 | Zergliederung dieses Begriffes die gedachte Existenz darin können angetroffen | ||||||
15 | werden; denn es giebt keine andere Ableitung einer Folge aus | ||||||
16 | einem Begriffe des Möglichen als durch die logische Auflösung. Alsdann | ||||||
17 | müßte aber das Dasein wie ein Prädicat in dem Möglichen enthalten sein. | ||||||
18 | Da dieses nun nach der ersten Betrachtung der ersten Abtheilung nimmermehr | ||||||
19 | statt findet, so erhellt: daß ein Beweis der Wahrheit, von der wir | ||||||
20 | reden, auf die erwähnte Art unmöglich sei. | ||||||
21 | Indessen haben wir einen berühmten Beweis, der auf diesen Grund | ||||||
22 | erbauet ist, nämlich den so genannten Cartesianischen. Man erdenkt sich | ||||||
23 | zuvörderst einen Begriff von einem möglichen Dinge, in welchem man alle | ||||||
24 | wahre Vollkommenheit sich vereinbart vorstellt. Nun nimmt man an, das | ||||||
25 | Dasein sei auch eine Vollkommenheit der Dinge; also schließt man aus | ||||||
26 | der Möglichkeit eines vollkommensten Wesens auf seine Existenz. Eben so | ||||||
27 | könnte man aus dem Begriffe einer jeden Sache, welche auch nur als die | ||||||
28 | vollkommenste ihrer Art vorgestellt wird, z. E. daraus allein schon, daß | ||||||
29 | eine vollkommenste Welt zu gedenken ist, auf ihr Dasein schließen. Allein | ||||||
30 | ohne mich in eine umständliche Widerlegung dieses Beweises einzulassen, | ||||||
31 | welche man schon bei andern antrifft, so beziehe ich mich nur auf dasjenige, | ||||||
32 | was im Anfange dieses Werks ist erklärt worden, daß nämlich | ||||||
33 | das Dasein gar kein Prädicat, mithin auch kein Prädicat der Vollkommenheit | ||||||
34 | sei, und daher aus einer Erklärung, welche eine willkürliche Vereinbarung | ||||||
35 | verschiedener Prädicate enthält, um den Begriff von irgend einem | ||||||
[ Seite 155 ] [ Seite 157 ] [ Inhaltsverzeichnis ] |