Kant: AA II, Der einzig mögliche ... , Seite 128 |
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01 | sehr nothwendig mit der Erzeugung weitläuftiger Höhlen verbunden sei, | ||||||
02 | die sich unter seiner schon gehärteten Rinde finden müssen, wenn die leichtesten | ||||||
03 | Materien seines inwendigen, noch flüssigen Klumpens, darunter | ||||||
04 | auch die Luft ist, mit allmähliger Absonderung unter diesen empor steigen, | ||||||
05 | und daß, da die Weitläuftigkeit dieser Höhlen ein Verhältniß zu der Größe | ||||||
06 | des Weltkörpers haben muß, die Einsinkungen der festen Gewölbe eben | ||||||
07 | so weit ausgebreitet sein werden. Selbst eine Art von Regelmäßigkeit, | ||||||
08 | wenigstens die Kettenreihe dieser Unebenheiten, darf bei einer solchen Erzeugungsart | ||||||
09 | nicht fremd und unerwartet scheinen. Denn man weiß, daß | ||||||
10 | das Aufsteigen der leichten Arten in einem großen Gemische an einem | ||||||
11 | Orte einen Einfluß auf die nämliche Bewegung in dem benachbarten | ||||||
12 | Theile des Gemengsels habe. Ich halte mich bei dieser Erklärungsart | ||||||
13 | nicht lange auf, wie ich denn allhier keine Absicht habe, einige Ergebenheit | ||||||
14 | in Ansehung derselben zu bezeigen, sondern nur eine kleine Erläuterung | ||||||
15 | der Methode zu urtheilen durch dieselbe darzulegen. | ||||||
16 | Das ganze feste Land der Erde ist mit den Laufrinnen der Ströme | ||||||
17 | als mit Furchen auf eine sehr vortheilhafte Art durchuogen. Es sind aber | ||||||
18 | auch so viel Unebenheiten, Thäler und flache Gegenden auf allem festen | ||||||
19 | Lande: daß es beim ersten Anblick scheint nothwendig zu sein, daß die Kanäle, | ||||||
20 | darin die Wasser derselben rinnen, besonders gebauet und geordnet | ||||||
21 | sein müssen, widrigenfalls nach der Unregelmäßigkeit alles übrigen Bodens | ||||||
22 | die von den Höhen laufende Wasser weit und breit ausschweifen, viele | ||||||
23 | Flächen überschwemmen, in Thälern Seen machen und das Land eher wild | ||||||
24 | und unbrauchbar als schön und wohlgeordnet machen müßten. Wer wird | ||||||
25 | nicht hier einen großen Anschein zu einer nöthigen außerordentlichen Veranstaltung | ||||||
26 | gewahr? Indessen würde aller Naturforschung über die Ursache | ||||||
27 | der Ströme durch eine angenommene übernatürliche Anordnung ein | ||||||
28 | Ende gemacht werden. Weil ich mich hingegen diese Art der Regelmäßigkeit | ||||||
29 | nicht irre machen lasse und nicht sogleich ihre Ursache außer dem Bezirk | ||||||
30 | allgemeiner mechanischer Gesetze erwarte, so folge ich der Beobachtung, | ||||||
31 | um daraus etwas auf die Erzeugungsart dieser Ströme abzunehmen. Ich | ||||||
32 | werde gewahr: daß viele Fluthbetten der Ströme sich noch bis jetzt ausbilden, | ||||||
33 | und daß sie ihre eigene Ufer erhöhen, bis sie das umliegende | ||||||
34 | Land nicht mehr so sehr wie ehedem überschwemmen. Ich werde gewiß, | ||||||
35 | daß alle Ströme vor Alters wirklich so ausgeschweift haben, als wir besorgten, | ||||||
36 | daß sie es ohne eine außerordentliche Anstalt thun müßten, und | ||||||
37 | ich nehme daraus ab, daß keine solche außerordentliche Einrichtung jemals | ||||||
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