Kant: AA II, Der einzig mögliche ... , Seite 120

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 so bald man deren recht viel und unter diesen solche, die das menschliche      
  02 Geschlecht nicht entbehren kann, zusammen gebracht hat, so glaubt man      
  03 Ursache zu haben sie als eine unmittelbare göttliche Anstalt anzusehen.      
  04 Denn sie als eine Folge aus allgemeinen Bewegungsgesetzen zu betrachten      
  05 (weil man von diesen gar nicht vermuthet, daß sie auf schöne und nützliche      
  06 Folgen sollten eine Beziehung haben, es müßte denn etwa von ungefähr      
  07 sein), das würde ihrer Meinung nach heißen, einen wesentlichen Vortheil      
  08 des Menschengeschlechts auf den blinden Zufall ankommen lassen. Eben      
  09 so ist es mit der Betrachtung der Flüsse der Erde bewandt. Wenn man      
  10 die physischtheologischen Verfasser hört, so wird man dahin gebracht sich      
  11 vorzustellen, ihre Laufrinnen wären alle von Gott ausgehöhlt. Es heißt      
  12 auch nicht philosophiren: wenn man, indem man einen jeden einzelnen      
  13 Berg oder jeden einzelnen Strom als eine besondere Absicht Gottes betrachtet,      
  14 die nach allgemeinen Gesetzen nicht würde erreicht worden sein,      
  15 wenn man, sage ich, alsdann sich diejenige Mittel ersinnt, deren besonderen      
  16 Vorkehrung sich etwa Gott möchte bedient haben, um diese Individual      
  17 Wirkungen heraus zu bringen. Denn nach demjenigen, was in der dritten      
  18 Betrachtung dieser Abtheilung gezeigt worden, ist dergleichen Product      
  19 dennoch in so fern immer übernatürlich; ja, weil es nicht nach einer Ordnung      
  20 der Natur (indem es nur als eine einzelne Begebenheit durch eigene      
  21 Anstalten entstand) erklärt werden kann, so gründet sich ein solches Verfahren      
  22 zu urtheilen auf eine verkehrte Vorstellung vom Vorzuge der Natur      
  23 an sich selber, wenn sie auch durch Zwang auf einen einzelnen Fall      
  24 sollte gelenkt werden müssen, welches nach aller unserer Einsicht als ein      
  25 Mittel des Umschweifs und nicht als ein Verfahren der Weisheit kann      
  26 angesehen werden.*) Als Newton durch untrügliche Beweise sich überzeugt      
  27 hatte, daß der Erdkörper diejenige Figur habe, auf der alle durch den      
  28 Drehungsschwung veränderte Richtungen der Schwere senkrecht ständen,      
  29 so schloß er: die Erde sei im Anfange flüssig gewesen und habe nach den      
           
    *) Es wäre zu wünschen, daß in dergleichen Fällen, wo die Offenbarung Nachricht giebt, daß eine Weltbegebenheit ein außerordentliches, göttliches Verhältniß sei, der Vorwitz der Philosophen möchte gemäßigt werden ihre physische Einsichten auszukramen; denn sie thun der Religion gar keinen Dienst und machen es nur zweifelhaft, ob die Begebenheit nicht gar ein natürlicher Zufall sei; wie in demjenigen Fall, da man die Vertilgung des Heeres unter Sanherib dem Winde Samyel beimißt. Die Philosophie kommt hiebei gemeiniglich ins Gedränge, wie in der Whistonschen Theorie, die astronomische Kometenkenntniß zur Bibelerklärung zu gebrauchen.      
           
     

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