Kant: AA I, Gedanken von der wahren ... , Seite 037 |
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01 | § 26. |
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02 | Was ich jetzt erwiesen habe, ist eine ganz genaue | Beweis eben | |||||
03 | Folge aus dem Gesetze der Continuität, dessen weitläuftigen | desselben aus | |||||
04 | Nutzen man vielleicht noch nicht genug hat kennen | dem Gesetze der | |||||
05 | gelernt. Der Herr von Leibniz, der Erfinder desselben, | Continuität. | |||||
06 | machte ihn zum Probirstein, an dem die Gesetze des Cartes die Probe | ||||||
07 | nicht hielten. Ich halte es für den größten Beweis seiner Vortrefflichkeit, | ||||||
08 | daß er fast allein ein Mittel darbietet, das berufenste Gesetz | ||||||
09 | der ganzen Mechanik recht aufzudecken und in der wahren Gestalt zu | ||||||
10 | zeigen. | ||||||
11 | Man darf nur seine Aufmerksamkeit auf die Art und Weise richten, | ||||||
12 | wie Herr von Leibniz sich dieses Grundsatzes gegen Cartesen bedient | ||||||
13 | hat, so wird man leicht wahrnehmen, wie er hier müsse angewandt | ||||||
14 | werden. Er beweiset, diejenige Regel, die da statt hat, wenn | ||||||
15 | ein Körper gegen einen stößt, der in Bewegung ist, müsse auch bleiben, | ||||||
16 | wenn er wider einen anläuft, der in Ruhe ist; denn die Ruhe ist von | ||||||
17 | einer sehr kleinen Bewegung nicht unterschieden. Was da gilt, wenn | ||||||
18 | ungleiche Körper gegen einander laufen, das muß auch gelten, wenn | ||||||
19 | die Körper gleich sind; denn eine sehr kleine Ungleichheit kann mit der | ||||||
20 | Gleichheit verwechselt werden. | ||||||
21 | Auf diese Weise schließe ich auch: was da überhaupt gilt, wenn | ||||||
22 | ein Körper sich eine Zeit lang bewegt hat, das muß auch gelten, wenn | ||||||
23 | gleich nur die Bewegung im Anfange ist, denn eine sehr kleine Dauer | ||||||
24 | der Bewegung ist von dem bloßen Anfange derselben nicht unterschieden, | ||||||
25 | oder man kann sie füglich verwechseln. Hieraus folgere ich: | ||||||
26 | wenn der Körper überhaupt alsdann eine lebendige Kraft hat, wenn | ||||||
27 | er sich eine Zeit lang (sie sei so kurz, als man will) bewegt hat, so | ||||||
28 | muß er sie auch haben, wenn er sich erst anfängt zu bewegen. Denn | ||||||
29 | es ist einerlei, ob er eben erst anfängt, oder etwa schon eine ungemein | ||||||
30 | kleine Zeit fortfährt sich zu bewegen. Und also schließe ich: weil aus | ||||||
31 | dem Leibnizischen Gesetze der Kräftenschätzung diese Ungereimtheit | ||||||
32 | folgt, daß selber im Anfangspunkte der Bewegung die Kraft lebendig | ||||||
33 | sein würde, so könne man ihm nicht beipflichten. | ||||||
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