Kant: AA I, Gedanken von der wahren ... , Seite 036

     
           
 

Zeile:

 

Text (Kant):

 

 

 

 
  01 folglich wird die Bestimmung AB durch ihre Abkürzung der Bestimmung      
  02 in A immer näher gesetzt werden; denn wenn sie sich dieser gar      
  03 nicht näherte, so könnte der Körper durch die Abkürzung der Zeit,      
  04 wenn ich sie gleich unendlich fortsetzte, doch niemals den Punkt A gewinnen,      
  05 welches ungereimt ist. Es kommt also die Bestimmung des      
  06 Körpers in C den Bedingungen der todten Kraft näher, als in B, in      
  07 D noch näher als in C und so ferner, bis er in A selber alle Bedingungen      
  08 der todten Kraft hat, und die Bedingungen zur lebendigen      
  09 gänzlich verschwunden sind. Wenn aber      
           
  10 3tens gewisse Bestimmungen, die die Ursache einer Eigenschaft      
  11 eines Körpers sind, sich nach und nach in andere Bestimmungen verwandeln,      
  12 die ein Grund einer entgegengesetzten Eigenschaft sind, so      
  13 muß die Eigenschaft, die eine Folge der ersteren Bedingung war,      
  14 sich zugleich mit ändern und sich nach und nach in diejenige Eigenschaft      
  15 verwandeln, die eine Folge der letztern ist.*) Da nun, wenn ich die      
  16 Zeit AB (die eine Bedingung einer lebendigen Kraft in B ist) in Gedanken      
  17 abkürze, diese Bedingung der lebendigen Kraft der Bedingung      
  18 der todten Kraft nothwendig näher gesetzt wird, als sie in B war: so      
  19 muß auch der Körper in C wirklich eine Kraft haben, die der todten      
  20 näher kommt, als die in B und noch näher, wenn ich ihn in D setzte.      
  21 Es hat demnach ein Körper, der unter der Bedingung der verflossenen      
  22 Zeit eine lebendige Kraft besitzt, dieselbe nicht in jedweder Zeit, die      
  23 so kurz sein kann, als man will; nein, sie muß determinirt und gewiß      
  24 sein, denn wenn sie kürzer wäre, so würde er diese lebendige Kraft      
  25 nicht mehr haben. Es kann also Leibnizens Gesetz von der Schätzung      
  26 der Kräfte nicht statt finden; denn es legt den Körpern, die sich überhaupt      
  27 eine Zeit lang bewegt haben (dies will so viel sagen als die      
  28 sich wirklich bewegen), ohne Unterschied eine lebendige Kraft bei,      
  29 diese Zeit mag nun so kurz, oder so lang sein, wie man wolle.**)      
           
           
    *) Nach der Regel posita ratione ponitur rationatum .      
           
    **) Der kurze Inhalt dieses Beweises ist folgender. Die Zeit, die sich zwischen dem Anfange der Bewegung und dem Augenblicke, darin der Körper anstößt, befindet, kann so viel kürzer gedacht werden, als beliebig ist, ohne daß sich dadurch verstehen läßt, daß die Bedingung der lebendigen Kraft sich dadurch verlieren werde (§ 24); nun ist aber diese Abkürzung ein Grund, woraus verstanden werden kann, daß, wenn man sie fortsetzte, der Körper endlich werde im Anfangspunkte sein, wo die lebendige Kraft sich wirklich verliert und dagegen die Bedingung [Seitenumbruch] zur todten einfindet; es ist also die Verkleinerung dieser Zeit kein Grund, der der Bedingung der lebendigen Kraft etwas entzieht, und ist doch zugleich ein Grund hiezu: welches sich widerspricht.      
           
     

[ Seite 035 ] [ Seite 037 ] [ Inhaltsverzeichnis ]