Kant: AA I, Gedanken von der wahren ... , Seite 035 |
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| 01 | Man nennt eine Bewegung alsdann wirklich, wenn sie sich nicht | ||||||
| 02 | bloß in dem Punkte des Anfangs befindet, sondern wenn, indem sie | ||||||
| 03 | währt, eine Zeit verflossen ist. Diese verflossene Zeit, die zwischen | ||||||
| 04 | dem Anfange der Bewegung und dem Augenblicke, darin der Körper | ||||||
| 05 | wirkt, dazwischen ist, die macht es eigentlich, daß man die Bewegung | ||||||
| 06 | wirklich nennen kann. | ||||||
| 07 | Man merke aber wohl, daß diese Zeit*) nicht etwa von gesetzter | ||||||
| 08 | und gemessener Größe sei, sondern daß sie gänzlich undeterminirt ist | ||||||
| 09 | und nach Belieben kann bestimmt werden. Das heißt: man kann sie | ||||||
| 10 | annehmen, so klein man will, wenn man sie dazu brauchen soll, eine | ||||||
| 11 | wirkliche Bewegung damit anzuzeigen. Denn es ist nicht die und die | ||||||
| 12 | Größe der Zeit, welche die Bewegung eigentlich wirklich macht, nein, | ||||||
| 13 | die Zeit überhaupt ist es, sie sei so klein, oder so groß, wie sie wolle. | ||||||
| 14 | § 25. |
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| 15 | Demnach ist die in der Bewegung aufgewandte Zeit | Zweiter Hauptfehler | |||||
| 16 | der wahre und einzige Charakter der lebendigen Kraft; | des | |||||
| 17 | und sie allein ist es, wodurch diese ein besonderes Ma | Leibnizischen | |||||
| 18 | vor der todten erhält. | Kräftenmaßes. | |||||
| 19 | Laßt uns nun die Zeit, die von dem Anfange der Bewegung an | ||||||
| 20 | verfließt, bis der Körper einen Gegenstand antrifft, in den er wirkt, | ||||||
| 21 | durch die Linie AB vorstellig machen, wovon der Anfang in A ist.**) | ||||||
| 22 | In B hat der Körper also eine lebendige Kraft, aber im Anfangspunkte | ||||||
| 23 | A hat er sie nicht, denn daselbst würde er einen Widerhalt, | ||||||
| 24 | der ihm entgegen stände, bloß mit einer Bemühung zur Bewegung | ||||||
| 25 | drücken. Laßt uns aber ferner folgender Gestalt schließen. Fürs | ||||||
| 26 | 1ste ist die Zeit AB eine solche Bestimmung des Körpers, der | ||||||
| 27 | sich in B befindet, wodurch in ihn eine lebendige Kraft gesetzt wird, | ||||||
| 28 | und der Anfangspunkt A (wenn ich nämlich den Körper in denselben | ||||||
| 29 | setze) ist eine Bestimmung, die ein Grund der todten Kraft ist. Fürs | ||||||
| 30 | 2te. Wenn ich in Gedanken diese Bestimmung, die durch die | ||||||
| 31 | Linie AB ausgedrückt wird, kleiner mache, so setze ich den Körper dem | ||||||
| 32 | Anfangspunkte näher, und es läßt sich leicht verstehen, daß, wenn ich | ||||||
| 33 | dieses fortsetzte, der Körper endlich sich gar in A selber befinden würde; | ||||||
| *) In der Formel des Leibnizischen Kräftenmaßes. | |||||||
| **) Fig. II. | |||||||
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