Kant: Briefwechsel, Brief 95, Von Iohann Friedrich Schultz.

     
           
 

 

 

 

 

 
  Von Iohann Friedrich Schultz.      
           
  4. Oct. 1774.      
           
  HochEdelgebohrner, Hochgelahrter      
  Insonders Hochgeehrter Herr      
  Professor.      
           
  Ewer HochEdelgebohrnen ist die Abschrifft meiner Gedanken Vom      
  Wesen der Religion, wie ich vernommen, zu Handen kommen; ich      
  empfinde ein großes Vergnügen an Dero Güte, daß sie sich die Mühe      
  nehmen wollen und das Werk durch zu lesen würdigen wollen, dabey      
  bitte gehorsamst mir Dero Einsichtvolles Urtheil und Gutachten hochgeneigt      
  zuertheilen. Meine Absicht ist gar nicht gewesen die Schrifft      
  durch den Druck bekant zu machen, indem ich meine Gedanken nur      
  zum Unterricht guter Freunde in meiner vormahligen Gemeine auffgesetzet.      
  Barthes aber komt zufalliger Weise über meine Handschrifft      
  und bittet umb Erlaubniß selbige abzuschreiben, welches zu seiner      
  Belehrung ihme vergönne. Da er mit der Schrifft nach Königsberg      
  zurükgehet, ersucht er mich mit vielem Bitten, wie aus deßen Briefe      
  zu ersehn, umb meine Einwilligung das Werk druken zu laßen, mit      
  dem Vorgeben, daß er es gelehrten Männern zur Prüffung gezeiget,      
  welche mit ihrem Beyfalle den Druk angerathen. Sein Begehren      
  wird von mir abgeschlagen. Bey wiederholter Bitte, nach Anzeigung      
  des andern Brieffes gebe zwar eine abgenöhtige Einwilligung, aber      
  unter der Bedingung, daß er Ewer HochW[ohl]Edelgebohrnen Gutachten      
  darüber einhole. Ietzo aber erfahre ich mit Verdruß, daß der unartige      
  Mensch mich getäuschet hat.      
           
  Mein Hoch Werthgeschätzter Herr Professor findet meine schlechte      
  Ausarbeitung einigen Beyfall; woran ich aber zweiffele, weil ich bey      
  meinem hohen Alter und dunkelen Augen sie nicht übersehen und ausfeilen      
  kan, so überlaße alles Dero Hochgeneigtem Wohlwollen und      
  Bestimung, die bemerkten und angezeigten Fehler werde als eine      
  gütige Belehrung mit höchstem Danke erkennen. In Rüksicht deßen,      
  daß ich in der nähesten Nachbarschafft mit Dero seeligem Herren Vater      
  Christian Kant, einem eintzigen Sohne Johann Kanten, als Kind erzogen      
  bin, und wir beyde hertzliche SchulFreundschafft unterhalten      
  haben, schmeichle ich mich mit der Hoffnung diese Ewer HochEdelgeb.      
  angeerbte Liebe zu erfahren, daß Sie mich mit einer hochgeneigten      
           
  Antwort beehren und mir Dero Willens Meinung bekant machen      
  welches ich als das schätzbahreste Kenzeichen Dero werthen Freundschafft      
  verehren werde, der ich mich Dero Wohlwollen gehorsamst empfehle und      
  mit ersinlicher Hochachtung verharre      
           
    Ewer HochEdelgebohrnen      
    Meines Hochzuehrenden Herrn      
    Professoris      
  Memel gantz ergebenster      
  d. 4. Octobr. Diener.      
  1774. M: Joh:Frid Schultz.      
           
  Aus den Fleken und übrigen Zügen ist die Dunkelheit der Augen      
  zu ersehen, folglich mir nicht übel zu deuten.      
           
           
           
     

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