Kant: Briefwechsel, Brief 316, Von Ewald Egidius Lübeck. |
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Von Ewald Egidius Lübeck. | |||||||
Berlin den 7 Januar 88. | |||||||
Wohlgeborner | |||||||
sehr verehrter Herr Profeßor | |||||||
Ew Wohlgebornen sind mir schon in meiner frühen Iugend verehrungswerth, | |||||||
u. zur Zeit meines Akademischen Aufenthalts mein Lehrer | |||||||
gewesen. Diese Rücksichten, u. Dero mir in der Folgezeit bewiesene | |||||||
Freundschaftsäußerungen, schmeichlen mich mit der Hofnung einer | |||||||
gütigen Verzeihung, wenn ich mir Ew Wohlgeb. Rath u. Dafürhalten | |||||||
in Absicht des Dessauschen Philantropiens zu erbitten wage. | |||||||
Ich sehe zu sehr die Schwierigkeiten ein einen Hofmeister zu erhalten, | |||||||
der hinlängliche Wißenschaften habe, den Lehrlingen in allen | |||||||
Fächern alles in allem sein zu können; und gesetzt diese Seltenheit | |||||||
fänd sich wird er darum auch zugleich die so seltne Geschicklichkeit | |||||||
besizzen, gut mittheilen, sich nach dem Alter u. den Fähigkeiten seiner | |||||||
Lehrlinge richten, ihr Herz u. ihre Neigung (welches doch wenn der | |||||||
Unterricht gedeihen soll nothwendig ist) sich eigen zu machen wißen? | |||||||
Es sei, auch hierinn erfüllte ein glücklicher Fund unsre Erwartung, | |||||||
wird dieser Nemliche auch sein Absehn zugleich mit darauf richten, die | |||||||
Schüler in Absicht ihres moralischen Verhaltens, der Stimmung ihres | |||||||
Herz (welches Letztre doch noch dem Erstern vorzuziehn) gut zu bilden, | |||||||
wird er ihnen gut denken, gut handeln, künftig nützliche u. gute Bürger | |||||||
zu sein lehren? wird er endlich ihnen mit gutem Beispiel vorgehen u. | |||||||
durch eigenes unsträfliches Verhalten, sie zur Nacheiferung anzufeuern | |||||||
im Stande sein? | |||||||
Diese Eigenschaften laßen sich, besonders wenn sie mit gehörigem | |||||||
Fleiß, u. Entfernung sich selbst wißenschaftlich, oder auch durch Zerstreuungen | |||||||
zu unterhalten vergesellschaftet sein sollen, schwerlich zusammen | |||||||
erwarten, u. ließe sich einmal ein solcher Phönix, der auch zugleich | |||||||
in der Situation wäre Hofmeister werden zu wollen, antreffen, | |||||||
wie solte ich gerade unter so vielen Suchenden der einzige glückliche | |||||||
werden zu können hoffen? Zu geschweigen daß ich nach dieser ganz | |||||||
unwarscheinlichen Erlangung durch verschiedene Evenements wiederum | |||||||
in kurzem um ihn gebracht werden; wenigstens Neigung versorgt zu | |||||||
werden, u. dadurch sein eigen Glück zu befördern mich nächstens um | |||||||
ihn bringen kann. | |||||||
Die gemeinen öffentlichen Schulen haben wiederum eben so viele | |||||||
Mängel u. Unvollkommenheiten, selbst von der Seite des bloßen | |||||||
Unterrichts. Ew Wohlgeb. kennen sie alle beßer als ich sie herzuerzählen | |||||||
weiß. Indeßen erschöpft sich daselbst mit dem Unterricht auch alles, | |||||||
u. auf Herz u. Sitten wird selten andere Rücksicht als mit der Peitsche | |||||||
genommen. Und wie groß ist daselbst die Gefahr der Verfürung, des | |||||||
Beispiels von so vielen äußerst bösen, wenigstens muthwilligen u. ausgelaßenen | |||||||
Knaben. Aus der Schule kommen sie zu den Eltern welche | |||||||
vielleicht jeden Abend engagirt, oder sonst so beschäftigt sind, daß sie | |||||||
unmöglich sich allein damit belasten können, die übeln moralischen | |||||||
Eindrücke so durch die Schule entstanden aus dem Wege zu räumen, | |||||||
u. wiederum an deren Stelle gute Gesinnungen u. Grundsäzze zu pflanzen; | |||||||
vielmehr sind die Knaben vielleicht gar der Gesellschaft u. Aufsicht der | |||||||
Domestiquen übergeben, wodurch denn der höchste Grad des Übels zu | |||||||
wege gebracht wird. Einzelne Pensiones für Knaben sind noch beinahe | |||||||
schlimmer, indem diese Erzieher öfters weniger als die Eltern | |||||||
dazu geschickt sind, oder nur darauf bedacht nehmen die Zahlungen in | |||||||
ihre Börsen zu erhalten, u. im übrigen den Himmel walten laßen. | |||||||
Indem ich nun mit diesen Ideen beschäftigt war, gerieth mir vor | |||||||
einigen Wochen unter den Zeitschriften der hiesigen Lesebibliotheken, | |||||||
womit Deutschland, so ohne Maaß überschwemmt ist, ein Stück der | |||||||
Ephemeriden der Menschheit, oder Bibliothek der Sittenlehre Politik | |||||||
u. Gesetzgebung in die Hände (ich glaube es war vom Decmbr 86) | |||||||
welches ein Schreiben des Lehrers am Dessauschen Philantropiens | |||||||
Lenz an den Herausgeber enthält, u. worinnen die Einrichtungen | |||||||
desselben zu meinem ausnehmenden Wohlgefallen geschildert, u. dem | |||||||
Publico vor Augen gelegt wurden. Ich ward auch von der Warheit | |||||||
der Anfürungen um so mehr überzeugt, da ich (ni fallor) den Mann | |||||||
in Ew Wohlgeb. Vorlesungen (mit noch einem andern Bruder) kennen | |||||||
gelernt, u. daselbst deßen Freundschaft genoßen. Hierdurch ward mir | |||||||
das vom Philantropien gesagte noch werther, u. bei würklicher Ermanglung | |||||||
hiesiger guter Stadtschulen für das junge Alter meiner | |||||||
beiden ältesten Söhne, ward bis auf die Beistimmung Ew Wohlgeb. | |||||||
der eventuelle Entschluß von mir, u. meiner Frauen gefaßt, unsre | |||||||
Kinder instehenden Aprill nach Dessau zu bringen. Ich sezze wie gesagt | |||||||
noch alles auf das Dafürhalten Ew Wohlgebornen aus: das Urteil | |||||||
keines Gelerten ist mir so genüglich, als das von meinem eigenen | |||||||
liebsten u. schäzzenswerthesten Lehrer; und dann hat auch Niemand | |||||||
außer Ihnen davon beßere Kenntniß u. Wißenschaft. Ew Wohlgeb. | |||||||
kennen Herren Modderby deßen Sohn im Dessauschen Philantropien | |||||||
erzogen worden, u. diesen Sohn seit etlichen Iahren selbst, auch | |||||||
stehen Sie (wie glaube) mit Lehrern daselbst in Korrespondenz. Dörfte | |||||||
ich Ew Wohlgeb. dahero wohl um Ihre ganz unbefangne Meinung, | |||||||
die wenn sie auch wiedrig ausfallen solte, dennoch kein Mensch erfaren | |||||||
würde, bitten? Vorzüglich wünschte ich in dreien Rücksichten Ew Wolgeb. | |||||||
Dafürhalten 1. Ob die Erlernungen von der Art sind, daß die | |||||||
Lehrlinge von dort aus mit Nuzzen auf eine Akademie befördert werden | |||||||
können. Das Wißen eines jungen Menschen macht doch kunftighin auf | |||||||
alle Weise seine Brauchbarkeit u. ist mithin vorzüglich in Betracht zu | |||||||
ziehen. 2) Ob auch Unterweisungen in der geoffenbarten Religion | |||||||
gegeben werden, damit ich mich wenigstens bei diesem u. jenem | |||||||
Orthodoxen legitimiren kann. | |||||||
Von der Sorge für Gesundheit u. korperliche Uebungen, so wie | |||||||
von Moralischer Pflege glaube mich uberzeugt halten zu können, allein | |||||||
auch hierüber verhoffe Ew Wolgeb. Bestätigung | |||||||
Fällt Ew Wolgeb. Sentiment für meine Absicht erwünscht aus, | |||||||
so erbitte mir zugleich ein Empfelungsschreiben an HE Lenz, deßen | |||||||
freundschaftlichen Briefwechsel, ich mir für die Folge erbitten werde. | |||||||
Auch möchte ich Ihre Meinung darüber, ob die fremde Schule nicht | |||||||
unter dem Verbott fremde Akademien zu besuchen, begriffen (denn hier | |||||||
spreche ich mit Niemanden über dies Sujet u. bitte darüber auch in | |||||||
Konigsberg nichts zu sagen) allein ietzt ist mann schon nicht mehr so | |||||||
streng in Absicht dieses Gesezzes, u. am Ende kann doch höchstens | |||||||
meiner Meinung nach eine Geldstrafe statt finden. | |||||||
Ich erwarte baldigst Ew Wohlgeb. Antwort; wünsche das beste | |||||||
Wohlergehen, u. die dauerhafteste Gesundheit zum neuen Iahren, empfele | |||||||
mich u. meine Frau zur fortdauernden Freundschaft, u. habe den | |||||||
Vorzug zeitlebens mit wahrer Hochachtung u. Verehrung mich zu nennen | |||||||
Ew Wolgeb. ganz gehorsamst | |||||||
verpflichtester Diener Lübeck. | |||||||
Verzeihen Sie die Nachschrift. Mein ältester Iunge ist 9 mein | |||||||
jüngerer aber erst 6 Iahre. Würde wohl schon Letzterer angenommen | |||||||
werden können. Ich wünschte es wenigstens über die Maaßen. Vielleicht | |||||||
durch Ihre Empfelung. | |||||||
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