Kant: Briefwechsel, Brief 310, Von Iohann Christoph Berens.

     
           
 

 

 

 

 

 
  Von Iohann Christoph Berens.      
           
  Berlin den 5 dec. 1787.      
           
  Sehr geehrter Freund - Ich habe Sie in Königsberg mit mehrer      
  Eil Begierde besuchet, als ich aus Berlin jetzt an Sie schreibe: es war      
  bey dem ersten mehr für mich zu gewinnen, als Sie bey dem letzten      
  verliehren konten. Meine Reise hieher nahm ich durch Westpreussen      
  über Frankfurth, Leipzig Halle und Dessau. Meinen Sohn habe ich      
  in dem phylantropischen Institut gelaßen, und da an den jungen      
  Mudderbeys gesehen, daß es die Schuld der Zöglinge sey, wenn sie      
  nicht alle so viel gelernt haben, wie diese beyden, insonderheit der      
  jüngste, die oft unsere Hausgesellschaft waren. An den übrigen genanten      
  Orten waren Sie und die Würkung Ihrer Critik - mein      
  beständiges Augenmerk. Ich fand nirgends eigentliche Cabale dagegen,      
  aber bey den Lehrern Verdrus, ihr altes Gebäude worin sie bisher,      
  ihrer Eigenliebe so behaglich, gewohnet, ohne GrundMauern zu sehen.      
  Plattner wollte sich in Unterredungen über die Kantische Phylosophie      
  nicht auslassen - wir lesen Kanten - war alles was er sagte: Er      
  eröfnete seine elegante Vorlesungen nicht so wohl über die Phylosophie      
  als über das phylosophiren. Die Iahreszeit rückte fort, sonst hätte      
  ich gerne Wieland und Reinholdt aufgesucht - beyde rechte Enthusiasten      
  für die reine Vernunft, wie mir LandsLeute versicherten. Ersterer      
  hält dafür, daß wenn Sie die Schranken des Verstandes ausgemachet,      
  man sich schon beruhigen könte mit einem Kant stehen zu bleiben: der      
  Zweyte ein gewesner Capuziner oder gar Iesuit, aber ein grundehrlicher      
  scharfsichtiger unbefangener Mann, der kürzlich in Berlin gewesen      
  ist, weint, wie mir D: Biester sagt, wenn er hört, daß Ihre fromme      
  Lehre noch nicht allgemein erkandt wird. Der P: Eberhard befürchtete      
  Nachtheil für die Moral von Ihrer neuen Phylosophie, die Sie der      
  alten hätten anfügen sollen - Ihr vormaliger Verehrer P: Ulrich will      
  Ihr Gegner werden, weil ihm Reinhold die Lorbern von der ersten      
  Rolle geraubet. Um nicht ganz ohne literarische Anekdoten von Akademien      
  zu erscheinen, so halten Sie folgende so lange für Sich und      
           
  Ihre Freund, die ich zufällig erfuhr, bis sie bekandter wird: Der      
  D. Semler wird unwiderleglich darthun, daß der Brief des Plinius,      
  worin von Christus die Rede ist, unterschoben sey. So viel von meiner      
  Reise - In Berlin werde ich mich bis zur OsterMesse aufhalten, von      
  hier wieder nach Dessau gehen um die nähere Bestimmung meines      
  Sohnes zu leiten. Ich habe hier eine angenehme Wohnung unter      
  den Linden bey einem Weinhändler Krebs, der recht guten Medock hat.      
  Die mir nachgeschickten Adressen gebe ich nicht ab, weil ich mir meine      
  Bekandtschaften selbst wähle und mache, auch noch alte habe, worunter      
  auch die eines gemeinschaftlichen Freundes des G[eh.]R[ath] Sympson. Da      
  mein Auffenthalt nicht so kurtz ist, so übereile ich selbst die gelehrte      
  Bekandtschaften nicht, gelegentlich hoffe ich alle die braven Männer      
  kennen zu lernen, die von hier Licht über Deutschland verbreitet haben.      
  Noch herrscht hier dieselbe Denk und PreßFreyheit. Die Geheime      
  Briefe über das Personale der jetzigen Regierung werden hier öffentlich      
  vom Hof und in der Stadt gelesen. Die schöne Lobschrift von      
  dem Grafen Guibert ist sehr gut von Zöllner übersetzt. Mein alter      
  Freund D. Busching beschreibt den Charakter des Königs; die beygelegten      
  ActenStucke und Handschriften mit alle ihren orthographischen      
  Fehlern werden sehr mit denen erst um Michaelis herauskommenden      
  correkten Werken des Konigs, der Sprache nach contrastiren.      
           
  Empfehlen Sie mich dem Gräflich Keyserlingschen Hause: ich grüsse      
  ebenso angelegentlich Ihren Freund HE. Prof. Krause. Wir, ich und      
  meine Frau, freuen sich auf die Zeit Sie wiederzusehen - ich bin mit      
  wahrer Verehrung - der Ihrige      
           
  JCBerens.      
           
           
           
     

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