Kant: Briefwechsel, Brief 303, An Ludwig Heinrich Iakob.

     
           
 

 

 

 

 

 
  An Ludwig Heinrich Iakob.      
           
  11. Sept. [?] 1787.      
           
  Wohlgebohrner      
  Hochzuehrender Herr      
  Ich ergreife diese Gelegenheit um Ew: Wohlgeb. für die Zusendung      
  Ihres Wohlgerathenen Werks und die in Ihrem letztern Schreiben      
  mir ertheilte angenehme Nachrichten zu danken und zugleich zur erlangten      
           
  Professorstelle zu gratuliren. Toellners Handbuch ist zu logischen      
  Vorlesungen recht gut. Unmasgeblich wolte ich rathen, die in der      
  Critik bemerkte Nothwendigkeit, die Logik in ihrer Reinigkeit als      
  blossen Inbegrif der formalen Regeln des Denkens, vorzutragen, mit      
  Weglaßung aller zur Metaphysik (wegen des Ursprungs der Begriffe      
  dem Inhalte nach) oder gar zur Psychologie gehörigen Materien, wodurch      
  sie nicht allein faßlicher, sondern auch zusammenhängender und      
  gründlicher wird. Feder hält diese Pünctlichkeit für pedantisch und      
  unnütz. Eine Metaphysik habe nie geschrieben und HEn Hemmerde      
  bitte zu sagen, daß ich sehr widerrathe meine kleine Schriften vorjetzt      
  zu drucken. Vielleicht daß ich eine Revision damit vornehme, so bald      
  mir nur Zeit dazu übrig ist und ihm nachher davon melde, welches      
  aber in den nächsten 2 Iahren kaum geschehen dürfte. - Ietzt ist meine      
  Critik der practischen Vernunft bey Grunert. Sie enthält      
  manches welches die Mißverständnisse der der theoretischen heben kan.      
  Unmittelbar wende ich mich nun auf die Bearbeitung der Critik des      
  Geschmacks, womit ich mein critisches Geschäft schließen werde, um      
  zum dogmatischen fortzuschreiten. Noch vor Ostern denke ich soll sie      
  herauskommen. - Ich wünschte daß Sie ein kurzes System der Metaphysik      
  vorläufig abzufassen versuchten, wozu ich vorjetzt einen Plan      
  vorzuschlagen durch den Mangel der Zeit behindert werde. Die Ontologie      
  würde, ohne alle critische Einleitung, mit den Begriffen von      
  Raum und Zeit, nur so fern sie allen Erfahrungen (als reine Anschauungen)      
  zu Grunde liegen, anfangen. Nachher folgen vier Hauptstücke,      
  welche die Verstandesbegriffe enthalten, nach den 4 Classen der      
  Categorien, deren jede ihren Abschnitt ausmacht: alle blos analytisch      
  nach Baumgarten behandelt, samt den Prädicabilien, ja den Verbindungen      
  derselben mit Zeit und Raum, ingleichen, so wie sie fortgehen,      
  unter einander, wie man sie im Baumgarten aufsuchen kan. Zu jeder      
  Categorie wird der synthetische Grundsatz (wie ihn die Critik 2te Edition      
  vorträgt nur so vorgetragen, wie die Erfahrung ihm immer gemäß      
  seyn muß und so die ganze Ontologie durchgeführt. Nun kommt allererst      
  die critische Betrachtung von Raum und Zeit als Form der      
  Sinnlichkeit und der Categorien, nach ihrer Deduction; denn diese      
  sowohl als jene kan nun allererst ganz wohl verstanden und die einzig      
  mögliche Art, die Grundsätze, wie schon geschehen, zu beweisen, begriffen      
  werden. Nun kommen die transc. Ideen, welche die Eintheilung in      
           
  Cosmologie, Psychol: od. Theol: an die Hand geben u.s.w. Ich muß      
  schließen und empfehle mich Ew: Wohlgeb: Freundschaft als Ihr      
           
    ergebenster Diener      
    I. Kant      
           
           
           
     

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