Kant: AA XX, Preisschrift über die ... , Seite 318

     
           
 

Zeile:

 

Text (Kant):

 

 

 

 
  01 Die zweyte Forderung nämlich, welche in der Aufgabe der K. Acad.      
  02 stillschweigend enthalten ist, will, man solle beweisen: daß die Fortschritte,      
  03 welche gethan zu haben die Metaphysik sich rühmen mag, reell seyen.      
  04 Eine harte Forderung, die alleon die zahlreichen vermeyntlichen Eroberer      
  05 in diesem Felde in Verlegenheit setzen muß, wenn sie solche begreifen und      
  06 beherzigen wollen.      
           
  07 Was die Realität der Elementarbegriffe aller Erkenntniß a priori      
  08 betrifft, die ihre Gegenstände in der Erfahrung finden können, ingleichen      
  09 die Grundsätze, durch welche diese unter jene Begriffe subsumirt werden,      
  10 so kann die Erfahrung selbst zum Beweise ihrer Realität dienen, ob man      
  11 gleich die Möglichkeit nicht einsieht, wie sie, ohne von der Erfahrung abgeleitet      
  12 zu seyn, mithin a priori, im reinen Verstande ihren Ursprung haben      
  13 können: z.B. der Begriff einer Substanz und der Satz, daß in allen Veränderungen      
  14 die Substanz beharre und nur die Accidenzen entstehen oder      
  15 vergehen. Daß dieser Schritt der Metaphysik reell und nicht bloß eingebildet      
  16 sey, nimmt der Physiker ohne Bedenken an; denn er braucht ihn      
  17 mit dem besten Erfolg in aller durch Erfahrung fortgehenden Naturbetrachtung,      
  18 sicher, nie durch eine einzige widerlegt zu werden, nicht darum, weil      
  19 ihn noch nie eine Erfahrung widerlegt hat, ob er ihn gleich so, wie er im      
  20 Verstande a priori anzutreffen ist, auch nicht beweisen kann, sondern weil      
  21 er ein diesem unentbehrlicher Leitfaden ist, um solche Erfahrung anzustellen.      
  22      
           
  23 Allein das, worum es der Metaphysik eigentlich zu thun ist, nämlich      
  24 für den Begriff von dem, was über das Feld möglicher Erfahrung hinausliegt      
  25 und für die Erweiterung der Erkenntniß durch einen solchen      
  26 Begriff, ob diese nämlich reell sey, einen Probierstein zu finden, daran      
  27 möchte der waghälsige Metaphysiker beynahe verzweifeln, wenn er nur      
  28 diese Forderung versteht, die an ihn gemacht wird. Denn wenn er über      
  29 seinen Begriff, durch den er Objecte bloß denken, durch keine mögliche      
  30 Erfahrung aber belegen kann, fortschreitet, und dieser Gedanke nur möglich      
  31 ist, welches er dadurch erreicht, daß er ihn so faßt, daß er sich in ihm      
  32 nicht selbst widerspreche; so mag er sich Gegenstände denken, wie er will,      
  33 er ist sicher, daß er auf keine Erfahrung stoßen kann, die ihn widerlege,      
  34 weil er sich einen Gegenstand, z.B. einen Geist, gerade mit einer solchen      
  35 Bestimmung gedacht hat, mit der er schlechterdings kein Gegenstand der      
  36 Erfahrung seyn kann. Denn daß keine einzige Erfahrung diese seine      
  37 Idee bestätigt, kann ihm nicht im mindesten Abbruch thun, weil er ein      
  38 Ding nach Bestimmungen denken wollte, die es über alle Erfahrungsgrenze      
  39 hinaussetzen. Also können solche Begriffe ganz leer und folglich      
           
           
           
     

[ Seite 317 ] [ Seite 319 ] [ Inhaltsverzeichnis ]