Kant: AA XVIII, Metaphysik Zweiter Theil , Seite 256

     
           
 

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  01 dieser Ursachen, das moment sie zu bestimmen, ist unbekannt und wird      
  02 nicht unter den Erscheinungen angetroffen, kan aber auch darunter nicht      
  03 vermisset werden, weil wir die Erscheinungen nicht bis zu dem moment      
  04 ihres Anfangs beobachten können.      
           
  05 Das Gesetz der Ursache und Wirkung (caussalitatis) beruhet auf der      
  06 Bedingung der Moglichkeit einer Einheit der Erfahrung. Diese Einheit      
  07 kan bey freyen Wesen nicht vollig statt haben, ausser wenn sie vollig intellectuel      
  08 sind.      
           
  09 Die obere Willkühr ist das Vermögen, sich der triebfedern oder sinnlichen      
  10 anreitzungen nach ihren Gesetzen, aber doch immer der Verstandesvorstellung      
  11 gemäs (in Beziehung auf die letzten und allgemeinen Zweke      
  12 der Sinnlichkeit) zu bedienen. A posteriori also werden wir Ursache      
  13 haben, den Grund der Handlung, nemlich den Erklärungs-, aber      
  14 nicht Bestimmungsgrund derselben, in der Sinnlichkeit zu finden;      
  15 a priori aber, wenn die Handlung als künftig vorgestellt wird (antecedenter),      
  16 werden wir uns zu derselben unbestimmt und uns vermögend      
  17 f0hlen, einen ersten Anfang der reihe der Erscheinungen zu machen.      
  18 Giebt es freye Willkühr, so machen die Erscheinungen Vernünftiger Wesen      
  19 kein continuum, außer bey festen Grundsätzen des Verstandes. Es können      
  20 also blos die zum Theil durch Verstand, zum Theil durch Sinne regirte      
  21 Handlungen nach keiner regel des einen oder der andern erklärt werden.      
  22 Vor der Handlung setzen wir uns blos in den Standpunkt des Verstandes.      
  23 Weil der Verstand nun eigentlich nicht afficirt wird, aber die      
  24 Sinnlichkeit afficiren kan: so ist seine Handlung nicht vorherbestimt,      
  25 sondern spontaneo bestimmend; und das Gegentheil von dem, was      
  26 ohne Verstand geschieht, hätte immer geschehen können.      
  27 Also ist die Handlung nur bedingter Weise Zufallig (unter Bedingungen      
  28 des Verstandes), so fern sie unvernünftig ist.      
           
   

 

5617.   χ? (υ?)   M 279.
 
     
  30 Unter den Erscheinungen müs alles bestimt seyn, aber entweder nach      
  31 Gesetzen pathologischen oder moralischen Gesetzen; ist das erste, so ist das      
  32 gegentheil doch moglich nach Vernunftgesetzen, also der mensch frey; ist      
  33 das letztere, so ist das subiect auch frey. Die Übereinstimmung mit Vernunftgesetzen      
  34 gehört nicht unter Erscheinungen, und der Übergang von der      
     

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