Kant: AA XV, Zweiter Anhang Medicin. , Seite 975 |
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01 | also nicht blos der Arzt, sondern der moralische Rechtslehrer in Anspruch | |||||||
02 | genommen werden müsse. — Etwas wird hiebey immer gewagt, aber die | |||||||
03 | moralische Waghälsigkeit (etwas auf die Gefahr, unrecht zu thun) ist doch | |||||||
04 | offenbar größer als die physische, welche | |||||||
05 | Hier bricht der Satz wieder ab, am Rande steht folgende Bemerkung: | |||||||
06 | Die Pockennoth ist darum eine der am meisten bekümmernden, weil | |||||||
07 | das Mittel wieder dieselbe zugleich der Moralität entgegen scheint. | |||||||
08 | Dann heisst es im Text weiter: | |||||||
09 | In Todesgefahr zu gerathen ist ein Übel (etwas physisch Böses). | |||||||
10 | sich aber darinn willkühlich zu | |||||||
11 | moralisch Böses), man mag sich nun sie vorsetzlich zuziehen, oder sich | |||||||
12 | nur hierin dem Zufall überlassen, denn die Maxime des Verhaltens in | |||||||
13 | solchen Umständen zieht dem hiebey gleichgültigen doch den Vorwurf des | |||||||
14 | Selbstmordes zu. | |||||||
15 | Wer sich oder andere, wenn er es hat verhüten koennen, in Todesgefahr | |||||||
16 | kommen läßt, fehlt (peccat), der sich darinn begiebt, verbricht | |||||||
17 | (delinquit). Beyde sind strafbar, der eine blos vor dem Richterstuhl | |||||||
18 | seiner eigenen Vernunft (ethisch), oder dem eines äußeren Machthabers | |||||||
19 | (juridisch). | |||||||
20 | Unter allen Gefahren aber, in die sich jemand begeben, oder in die | |||||||
21 | er gerathen mag, ist die der Pflichtverletzung, wenn man sich ihr aussetzt, | |||||||
22 | die bey weitem größte, zwar sich auszusetzen nicht so wohl (qvantitativ), | |||||||
23 | daß man öfterer und leichter in sie zu gerathen fürchten muß, als (qvalitativ) | |||||||
24 | daß sie durch kein Verdienst aufgewogen und getilgt werden und | |||||||
25 | so auf gewisse Weise moralisch-unsterblich ist. | |||||||
26 | Es sind zweyerley Gefahren, in die ein Mensch, der etwas wagt, | |||||||
27 | gerathen kan, nämlich entweder an seinem Vortheil einzubüssen, oder | |||||||
28 | seine Pflicht zu verletzen, bey welcher die Zufälligkeit (in Gefahr zu | |||||||
29 | kommen, z. B. auf einem schmalen Brett über einem Abgrunde oder über | |||||||
30 | eine Brücke ohne Lehnen) in Gefahr zu kommen größer sey, wird hier | |||||||
31 | nicht in Betrachtung gezogen, sondern was ärger ist: wieder die klugheit | |||||||
32 | in Beobachtung meines Vortheils, oder wieder das Sittengesetz in Befolgung | |||||||
33 | meiner Pflicht zu verstoßen. Diese zwey Bestimmungsgründe | |||||||
34 | der Wahl müßen aber rein abgesondert und unvermischt in Betrachtung | |||||||
35 | gezogen werden; denn wenn die bewegende Ursache zum Theil das eine, | |||||||
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