Kant: AA XV, Reflexionen zur Anthropologie. , Seite 395 |
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01 | nicht sich selbst verkenne und seinen Werth über andre seinen Kräften zu | |||||||
02 | viel Zutraue. | |||||||
03 | Ich nenne einen solchen Gelehrten einen Cyclopen. Er ist ein egoist | |||||||
04 | der Wissenschaft, und es ist ihm noch ein Auge nöthig, welches macht, daß | |||||||
05 | er seinen Gegenstand noch aus dem Gesichtspunkte anderer Menschen ansieht, | |||||||
06 | Hierauf gründet sich die humanitaet der Wissenschaften, d. i. die | |||||||
07 | Leutseeligkeit des Urtheils, dadurch man es andrer Urtheil mit unterwirft, | |||||||
08 | zu geben. Die (g vernünftelnde ) Wissenschaften, die man eigentlich lernen | |||||||
09 | kan, und die also immer anwachsen, ohne daß das erworbene eine Prüfung | |||||||
10 | und fiscalisirung nothig hatte, sind es eigentlich, darin es Cyclopen giebt. | |||||||
11 | Der Cyklop von Litteratur ist der troziste; aber es giebt Cyclopen von | |||||||
12 | Theologen, iuristen, medicis. Auch Cyclopen von Geometern. Einem | |||||||
13 | ieden muß ein Auge aus besonderer fabrike beygesellet werden.* | |||||||
14 | M 326': | |||||||
(g | ||||||||
15 | * Dem Medicus Critik unserer Naturkentnis, dem iuristen unsrer | |||||||
16 | (g Rechts und- ) Moralkentnis, dem Theologen unsrer Metaphysik. | |||||||
17 | Dem geometra Critik der VernunftErkentnis überhaupt. Das zweyte | |||||||
18 | Auge ist also das der Selbsterkentnis der Menschlichen Vernunft, ohne | |||||||
19 | welches wir kein Augenmaas der Größe unserer Erkentnis haben indem | |||||||
20 | wir nur. Jene giebt Standlinie der Messung. | |||||||
21 | Verschiedene von diesen Wissenschaften sind so bewandt, daß die | |||||||
22 | Critik derselben ihren innern werth sehr schwächt; nur die Mathematic | |||||||
23 | und philologie halten dagegen stich, daher s imgleichen die iurisprudentz; | |||||||
24 | daher sind sie auch die trozigsten. Der egoismus rührt daher, | |||||||
25 | weil sie den Gebrauch, welchen sie von der Vernunft in ihrer Wissenschaft | |||||||
26 | machen, weiter ausdehnen und auch in anderen Feldern vor hinreichend | |||||||
27 | halten. | |||||||
) | ||||||||
28 | M 326: | |||||||
29 | Nicht die Stärke, sondern das einäugigte macht hier den Cyclop. Es | |||||||
30 | ist auch nicht gnug, viel andre Wissenschaften zu wissen, sondern die | |||||||
31 | Selbsterkentnis des Verstandes und der Vernunft. Anthropologia transscendentalis. | |||||||
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