Kant: AA XV, Reflexionen zur Anthropologie. , Seite 262 |
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01 | Seine eigene Noth macht ihn hart gegen seine Mitgenossen, und er sieht | |||||||
02 | hülflose Wittwen neben sich verhungern, weil ihn seine eigene Erhaltung | |||||||
03 | gnug beschaftigt. Gleichwohl wenn er nach Copenhagen gebracht wird, | |||||||
04 | so ist alle Gemachlichkeit, die man ihm dort verschafft, nicht hinlänglich, | |||||||
05 | um ihm die Sehnsucht nach seinem Vaterlande zu benehmen; das macht, | |||||||
06 | er kan sich von seinem alten Zustande einen Begrif machen, wie er den | |||||||
07 | Übeln, die ihn bedrohen, Mittel entgegen setzen solle, und sie er ist ihrer | |||||||
08 | auch gewohnt; dagegen kan er sich von seinem neuen Zustande noch keinen | |||||||
09 | Begrif machen, und die Übel der Zw Einschränkung seiner wilden Freyheit | |||||||
10 | sind ihm ungewohnt. Mehrentheils Oft urtheilen wir andere Glüklich, | |||||||
11 | wenn sie nur wolten, und verlangen uns aber nicht gänzlich an ihrer | |||||||
12 | Stelle zu befinden, und bey einem Tausch ohne Auswahl nehmen wir doch | |||||||
13 | unser eigen Loos zurük; so findet sich niemand glüklich ausser nach Bedingungen, | |||||||
14 | die blos in seiner Einbildung seyn und davon er sich selbst kein | |||||||
15 | Beyspiel geben kan. So elend auch ein Leben selbst in den eigenen Augen | |||||||
16 | des Duldenden seyn mag, so zieht er es doch dem Sterben vor. Selbst | |||||||
17 | die freud lebhafteste Hofnung einer künftigen Glükseeligkeit, die der rechtschaffenste | |||||||
18 | sich vorzubilden bemüht ist, hindert nicht, daß er sich nicht durch | |||||||
19 | alle Mittel der Arzneykunst dieses Schiksals zu erwehren suche, und doch | |||||||
20 | ist der Tod das Ende aller Übel. | |||||||
611. ω2. L Bl. Reicke. Xc 9. S. I: |
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22 | Die Zeitanwendung: 1. Arbeiten. 2) Genießen (lecture). 3) Ruhen. | |||||||
23 | Wachend ruhen kann man nicht aussen in Motion mit dem Gemüth ruhen. | |||||||
612. ο4. L Bl. Hamburger Stadtbibliothek. R.-Sch. XI 2 S. 159. Hb. VIII S. 643. Ki. L S. 343—4. |
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26 | Glückseligkeit ist das Losungswort aller Welt, aber sie findet sich | |||||||
27 | nirgend als bey dem, der sie aus sich selbst heraus bringt in der Natur, die | |||||||
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