Kant: AA XII, Öffentl. Erklärungen 1797 , Seite 362 |
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Text (Kant):
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| 02 | Erklärung in der litterarischen Fehde mit Schlettwein. | ||||||
| 03 | 1. Iohann August Schlettwein an Kant. | ||||||
| 04 | 2. Kant's Erklärung. | ||||||
| 05 | 3. Schlettweins zweiter Brief an Kant. | ||||||
| 06 | Von Iohann August Schlettwein. | ||||||
| 07 | Eine litterarische Herausforderung. | ||||||
| 08 | Greifswalde, d. 11. Mai 1797. | ||||||
| 09 | Ich schreibe Ihnen, berühmter Mann! weil mich der feurigste Drang meines | ||||||
| 10 | Herzens dazu auffordert. Ich habe Ihre Kritik der reinen Vernunft, und | ||||||
| 11 | alle übrige größere und kleinere philosophische Werke die Sie der Welt seit der Erscheinung | ||||||
| 12 | der ersteren geschenkt haben, mit der anhaltendsten Aufmerksamkeit gelesen, | ||||||
| 13 | und zu wiederhohlten Malen gelesen, und über den ganzen Inhalt derselben ernstlich | ||||||
| 14 | und tief nachgedacht. Ich bekenne Ihnen aber frei, mein Theurer! daß Sie | ||||||
| 15 | dadurch noch zur Zeit weder meinen Geist noch mein Herz haben anziehen können, | ||||||
| 16 | um in Ihrer Gesellschaft den Fußsteig den Sie betreten haben, nach Ihrem Wunsche | ||||||
| 17 | zur Heeresstraße machen zu helfen. Ich will Ihnen mit redlicher Offenheit Alles | ||||||
| 18 | darüber sagen, was der Mensch dem Menschen sagen, und der Mensch vom Menschen | ||||||
| 19 | gern anhören soll, wenn Einer wie der Andere die Menschheit achtet, und wenn | ||||||
| 20 | Einer gegen den Andern von wahrer Bruderliebe glühet. | ||||||
| 21 | Erstlich sind Ihre Schriften allzuvoll von den stolzesten Anmaßungen einer | ||||||
| 22 | Superiorität Ihrer Denkkraft über die Denkkräfte der größten Menschen aller Zeitalter; | ||||||
| 23 | und oft machen Sie Sich schuldig der auffallendsten Ungerechtigkeiten und | ||||||
| 24 | der unverzeihlichsten lieblosesten Geringschätzung und Verhöhnung würdiger Männer | ||||||
| 25 | unserer Zeit. Sie werden, wenn Sie eine redliche ernstliche Prüfung Ihrer Selbst | ||||||
| 26 | als wahrer Philosoph anstellen wollen, unmöglich läugnen können, daß eine unbegränzte | ||||||
| 27 | Selbstsucht, ein fast unermeßliches Wohlgefallen an Ihrer persönlichen Eigenheit | ||||||
| 28 | durchaus Ihre Feder geführt hat. Dies aber, mein lieber Kant! ist gerade | ||||||
| 29 | der Charakter, der mein Herz in Absicht meiner Brüder welche ihn an sich tragen, | ||||||
| 30 | tief betrübt, weil ich völlig überzeugt bin daß der unendliche Urheber aller unserer | ||||||
| 31 | Talente und Fähigkeiten, von dessen Dasein ich die unwankelbarste Gewißheit habe, | ||||||
| 32 | durch nichts mehr entehrt wird als durch solche eitle egoistische Gesinnungen seiner | ||||||
| 33 | Menschen. Die wahre Weisheit erfordert nur reine Einfalt des Herzens, und | ||||||
| 34 | siehet Stolz und Eitelkeit als ihre feindseligsten Widersacher. Zuverlässig verwickelt | ||||||
| 35 | der Mensch, so groß auch die Kräfte seines Geistes immer sein mögen, sich | ||||||
| 36 | in Grübeleien Grillen und Irrthümer, wenn er seine Werke mit solch' einem eitlen | ||||||
| 37 | Stolze, mit solch, einer pralerischen Selbstgefälligkeit und mit solcher Arroganz zu | ||||||
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