Kant: AA XI, Briefwechsel 1792 , Seite 355 |
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01 | denuntiabitur, eo tamen simus animo, vt diem illum, horribilem | ||||||
02 | aliis, nobis faustum putemus; Portum paratum nobis & perfugium | ||||||
03 | putemus. Quo vtinam velis passis pervehi liceat! sin restantibus ventis | ||||||
04 | rejiciemur, tamen eodem, paulo tardius, referamur necesse est . | ||||||
05 | Die Geschichte unserer Tage, zeugt von einem traurigen Verfall | ||||||
06 | der Menschheit, und weißagt derselben Schiksaale, die zittern machen; | ||||||
07 | alle Anstalten sind wenigstens da, um es zu bereiten. Die heilige | ||||||
08 | aidos scheint ganz den Erdboden verlaßen zu wollen. Ein sich selbst | ||||||
09 | zerstörender Egoismus, entartet die Europäer, und verschlingt alle edle | ||||||
10 | Gefühle bei ihnen In gewißen bedrängenden Augenblikken des tiefsten | ||||||
11 | Seelenschmerzes und inniglichsten Unwillens, wird einem der Gedanke | ||||||
12 | denkbar: Gott könne die Menschen, wegen moralischer Verderbniß, aus | ||||||
13 | freiwilliger Bestimmung, vom Erdboden vertilgen, um ihn von den | ||||||
14 | Verschuldungen zu reinigen, und einer beßern Menschenart Plaz zu | ||||||
15 | machen. Es geschehen izt Dinge auf Erden, die das moralische Gefühl | ||||||
16 | so empören, daß es ihm zum äußersten Bedürfniß wird: Strafe und | ||||||
17 | Verdamniß, in einem andern Leben zu wünschen, um die Vernunft, | ||||||
18 | durch diesen zum Glauben gewordnen Wunsch, vor der Verzweiflung | ||||||
19 | zu retten: sich selbst für ein Unding und die Welt für ein Irrenhaus | ||||||
20 | zu halten, wo die Tollhäusler einander die Köpfe zerschlagen. | ||||||
21 | Doch ich muß hier abbrechen. Sie haben in lezter Meße, ein | ||||||
22 | neues Werk, ohne Ihren Nahmen, herausgegeben; aber ich habe den | ||||||
23 | Verfaßer bald erkannt. Möge dieses Buch viel Seegen stiften! | ||||||
24 | Theilnehmend begleiten meine Blikke Sie, auf Ihrer glänzenden Laufbahn, | ||||||
25 | und der Ruhm, der Sie am Abend Ihrer Tage krönt, ist für | ||||||
26 | mich ein erhebender Anblik! Widmen Sie, ehrwürdiger Greis, Ihr | ||||||
27 | noch übriges Leben dazu, den Menschen Wahrheiten zu sagen, die sie | ||||||
28 | izt am meisten bedürfen. Es wird so wenig für die gute Sache der | ||||||
29 | Menschheit geschrieben; und das, was darüber geschrieben wird, ist | ||||||
30 | meistens zwekwidrig. Mehrere unserer, in andern Fächern guten, | ||||||
31 | Schriftsteller, scheinen, wenn sie über diesen Punkt schreiben, den Kopf | ||||||
32 | zu verliehren. Ich vermiße Überzeugung, Nachdruck, Würde, Ernst, | ||||||
33 | männliche Kraft, ruhige Faßung, Weisheit und Klugheit, bei dem | ||||||
34 | Inhalt und Gepräge ihrer Schriften. Wie sehr kann ein Mann, wie | ||||||
35 | Sie, izt ein Wort zu rechter Zeit reden! | ||||||
36 | Ob ich gleich diesen Sommer zum dritten Mahle meine Metaphysik, | ||||||
37 | die ich dieses halbe Iahr wieder lese, ausarbeite, so bin ich | ||||||
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