Kant: AA XI, Briefwechsel 1792 , Seite 356 |
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01 | mit meinem System, doch noch nicht aufs reine. Ihre Werke, liegen | ||||||
02 | auf meinem Schreibtisch mir immer zur Hand. Zuvor aber, ehe ich | ||||||
03 | mich diesen Untersuchungen ganz und gar widme, werde ich noch eine | ||||||
04 | Wallfarth ins Alterthum tun. Mein Hauptzwek mit, bei diesem | ||||||
05 | Studium, ist, die Nichtigkeit des der menschlichen Vernunft gemachten | ||||||
06 | Vorwurfs zu zeigen, als wenn sie nur erst seit jüngern Zeiten, auf | ||||||
07 | die Idee eines Göttlichen Wesens gekommen wäre, und hiezu einer | ||||||
08 | andern, als ihrer eignen, Hülfe bedurft hätte; ferner, die Geschichte, | ||||||
09 | den Zusammenhang und alten entfernten Ursprung jenes merkwürdigen | ||||||
10 | Systems zu entwikkeln, das auf die Schiksaale und die Denkart der | ||||||
11 | Menschen, einen so unermeßlichen Einfluß gehabt, und daher genauer | ||||||
12 | untersucht zu werden, doch wohl verdient. Es ergeben sich hieraus | ||||||
13 | Warheiten, als Resultate, die, wenn sie, so wie sie schon philosophisch | ||||||
14 | erkannt sind, auch historisch anschauend gemacht, recht verstanden und | ||||||
15 | beherzigt werden, die menschliche Erkenntniß, über verschiedene wichtige | ||||||
16 | Gegenstände, sehr berichtigen können. Ehe der Saz nicht als allgemein | ||||||
17 | wahr anerkannt wird: daß keine Vernunftwarheit offenbart werden | ||||||
18 | kann, ist kein daurendes Heil und Wohl für die Menschen zu hoffen. | ||||||
19 | Allein das Publikum, das, da ich einige Iahre zu spät kam, schon | ||||||
20 | Parthei ergriffen hatte, kann oder will mich zum Theil nicht verstehn. | ||||||
21 | Ich habe zeither, noch einmahl die Alten studirt, auch zum Theil die | ||||||
22 | Astronomie derselben (als mit welcher die alte Metaphysik in Verbindung | ||||||
23 | steht), vorzüglich aber ganz von vorn, den Plato und Aristoteles; | ||||||
24 | wo ich manchen Fund wieder gethan, und zum beßern Verständni | ||||||
25 | der Eleatischen und Aristotelischen Philosophie gelangt bin; in deren | ||||||
26 | Darstellung, wie sie, im zweiten Bande meiner Versuche zur Aufklärung | ||||||
27 | der Philosophie des ältesten Alterthums, enthalten ist, ich manches | ||||||
28 | verändern, und ein neues Werk, unter dem vermuthlichen Tittel: Resultate | ||||||
29 | aus der Geschichte der Menschheit im ältesten Alterthum, herausgeben | ||||||
30 | werde. Aus der Vergleichung und Vereinigung der Entdekkungen | ||||||
31 | der neuern Naturgeschichte, mit den Resultaten der ältesten Urkunden | ||||||
32 | der Geschichte, über eine große Erd=revolution, ist es mir zur höchsten | ||||||
33 | Warscheinlichkeit gediehn: daß eine große physische Revolution, vormahls | ||||||
34 | einen großen Theil der Oberfläche des Erdbodens ins Meer | ||||||
35 | versenkt, dadurch neues Land hervorgebracht, und die physische und | ||||||
36 | klimatische Beschaffenheit deßelben, ganz verändert und verschlimmert | ||||||
37 | habe. Diese große Weltbegebenheit, glaube ich, ist der erste veste | ||||||
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