Kant: AA XI, Briefwechsel 1792 , Seite 354

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 Einnahme etwas ansehnlicher, und herrschte hier zu Lande, wo wegen      
  02 des starken Handels und der ansehnlichen Geldmaße, die im Umlauf      
  03 ist, nicht eine große Theurung, so würde - da ich einsam und abgezogen      
  04 lebe, und mich so viel möglich von äußern Bedürfnißen unabhängig      
  05 zu machen suche - auch in noch einer andern Rüksicht,      
  06 meine Lage erträglicher seyn. Man hatte mir vor'm Iahr eine Zulage      
  07 gegeben, aber mit der Bedingung, die lutherische Dogmatik zu lesen.      
  08 Überrascht anfänglich, nahm ich diesen Antrag an. Allein aus Gründen,      
  09 die mir's zur Pflicht machten, habe ich dieses Amt, nebst der Zulage,      
  10 schon vor einiger Zeit wieder nieder gelegt.      
           
  11 Meine in einem ungewöhnlichen Grade vormahls lebhafte Einbildungskraft,      
  12 die in meinen jüngern Iahren die Herrschaft führte, mir,      
  13 bei der ansehnlichen Rolle die sie spielte, so viele Übel schuf, ist gegenwärtig      
  14 erkaltet, so daß ich izt die Dinge ziemlich so sehe, wie sie sind.      
  15 Zurükgekommen von so manchen Prätensionen, könnte ich daher wohl      
  16 in der Folge negativ glüklicher leben; allein ich fürchte, unter den      
  17 fortdaurenden Geistes=Anstrengungen (denen ich noch zur Zeit, wegen      
  18 ökonomischer Verhältniße, keine engern Schranken sezzen darf), die baldige      
  19 Abstumpfung meines Körpers und Geistes. Möge aber alsdann      
  20 auch nur das Ende meiner Tage nicht mehr fern seyn! Ein kurzes      
  21 Lebensziel und baldige Befreiung des Vernunft=Menschen, von der      
  22 Herrschaft der sinnlichen Natur und aus dem Leibe dieses Todtes, ist      
  23 in dieser gegenwärtigen Zeit, mehr zu wünschen, als zu fürchten. Mir      
  24 fällt hiebei eine herrliche an Brutus gerichtete Stelle, aus dem ersten      
  25 Buch der Tuscul. queest. (am Ende deßelben) ein, die Cicero, während      
  26 der Stürme, die sein Vaterland zerrütteten, und das Menschengeschlecht      
  27 in ein länger als tausendjähriges Elend stürzten, schrieb: Magna eloquentia      
  28 est vtendum, atque ita velut superiore e loco concionandum ,      
  29 vt homines mortem vel optare incipiant, vel certe timere desistant .      
  30 Nam si supremus ille dies non exstinctionem, sed commutationem      
  31 affert loci, quid optabilius? sin autem perimit ac delet omnino, quid      
  32 melius, quam in mediis vitae laboribus obdormiscere, & ita conniventem      
  33 somno consopiri sempiterno? - Nos vero, si quid tale acciderit ,      
  34 vt a Deo denuntiatum videatur, vt exeamus e vita, laeti, &      
  35 agentes gratias pareamus; emittique nos e custodia & levari vinculis      
  36 arbitremur, vt aut in aeternam, & plane in nostram domum remigremus,      
  37 aut omni sensu, molestiaque careamus. Sin autem nihil      
           
     

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