Kant: AA XI, Briefwechsel 1790 , Seite 168 |
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426. | |||||||
02 | Von Ludwig Heinrich Iakob. | ||||||
03 | Halle den 4 Mai 1790 | ||||||
04 | Verehrungswürdiger Herr Professor, | ||||||
05 | Zuförderst sage ich Ihnen meinen verbindlichsten Dank für das | ||||||
06 | Geschenk, welches Sie mir mit Ihrer Critik der Urtheilskraft durch | ||||||
07 | HE. Lagarde gemacht haben. Ich habe sie bis jetzt noch nicht durchstudieren | ||||||
08 | können, da ich noch nicht einmal die Bogen alle habe; aber | ||||||
09 | die einzelnen Blicke, welche ich hinein geworfen habe, eröfnen mir | ||||||
10 | schon große und herrliche Aussichten. | ||||||
11 | Zugleich erlauben Sie eine Anfrage den Begriff oder vielmehr | ||||||
12 | den Ausdruck Erkenntniß betreffend zu thun, worüber ich vor kurzen | ||||||
13 | mit HE. Reinhold in Zwiespalt gerathen bin. So viel ich sehe gebrauchen | ||||||
14 | Sie in der Crit. d. R. V. den Ausdruck Erkenntniß in einem | ||||||
15 | doppelten Sinne, einmal daß er die Gattung der objectiven Vorstellungen | ||||||
16 | bedeutet und der Empfindung entgegensteht, so daß Anschauung | ||||||
17 | und Begriff Arten derselben folgl[ich] selbst Erkenntnisse sind; | ||||||
18 | das andere Mahl heissen Erkenntnisse solche Vorstellungen, die aus | ||||||
19 | einer Anschauung und einem Begriffe zusammengesetzt sind. HE. R. | ||||||
20 | gebraucht es durchgehends in dem letztern Sinne, und wo in der Cr. | ||||||
21 | d. r. V. gesagt wird, daß kein Erkenntniß übersinnl[icher] Objekte möglich | ||||||
22 | sey, wird der Ausdruck Erkenntniß ebenfalls nur im letztern Sinne | ||||||
23 | genommen. | ||||||
24 | Wenn ich nun den Sprachgebrauch frage, so scheint er jedesmal | ||||||
25 | nur für die erste Bedeutung zu stimmen, so daß das Wort Erkenntniß | ||||||
26 | eine jede Vorstellung bedeutet, die auf ein Objekt bezogen wird: | ||||||
27 | Man legt Thieren ohne Bedenken Erkenntnisse bei, ohnerachtet man | ||||||
28 | ihnen den Verstand oder das Vermögen der Begriffe abspricht. Und | ||||||
29 | wiederum wird eine Idee, wenn auch zugestanden wird, daß ihr kein | ||||||
30 | Objekt in der Erfahrung gegeben werden könne, und daß in ihr nichts | ||||||
31 | Anschauliches enthalten sey, dennoch eine Erkenntniß genannt, so bald | ||||||
32 | nur eingeräumt werden muß, daß sie eine Vorstellung sey, die überhaupt | ||||||
33 | auf etwas hinweiset, das von der Vorstellung verschieden ist. | ||||||
34 | So führt z. E. der blosse Begriff einer Erscheinung auf ein Etwas, | ||||||
35 | das nicht Erscheinung ist; dieses Etwas kann ich nicht materialiter | ||||||
36 | bestimmen, es wird aber doch mit der Vorstellung der Erscheinung als | ||||||
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