Kant: Briefwechsel, Brief 426, Von Ludwig Heinrich Iakob. |
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Von Ludwig Heinrich Iakob. | |||||||
Halle den 4 Mai 1790 | |||||||
Verehrungswürdiger Herr Professor, | |||||||
Zuförderst sage ich Ihnen meinen verbindlichsten Dank für das | |||||||
Geschenk, welches Sie mir mit Ihrer Critik der Urtheilskraft durch | |||||||
HE. Lagarde gemacht haben. Ich habe sie bis jetzt noch nicht durchstudieren | |||||||
können, da ich noch nicht einmal die Bogen alle habe; aber | |||||||
die einzelnen Blicke, welche ich hinein geworfen habe, eröfnen mir | |||||||
schon große und herrliche Aussichten. | |||||||
Zugleich erlauben Sie eine Anfrage den Begriff oder vielmehr | |||||||
den Ausdruck Erkenntniß betreffend zu thun, worüber ich vor kurzen | |||||||
mit HE. Reinhold in Zwiespalt gerathen bin. So viel ich sehe gebrauchen | |||||||
Sie in der Crit. d. R. V. den Ausdruck Erkenntniß in einem | |||||||
doppelten Sinne, einmal daß er die Gattung der objectiven Vorstellungen | |||||||
bedeutet und der Empfindung entgegensteht, so daß Anschauung | |||||||
und Begriff Arten derselben folgl[ich] selbst Erkenntnisse sind; | |||||||
das andere Mahl heissen Erkenntnisse solche Vorstellungen, die aus | |||||||
einer Anschauung und einem Begriffe zusammengesetzt sind. HE. R. | |||||||
gebraucht es durchgehends in dem letztern Sinne, und wo in der Cr. | |||||||
d. r. V. gesagt wird, daß kein Erkenntniß übersinnl[icher] Objekte möglich | |||||||
sey, wird der Ausdruck Erkenntniß ebenfalls nur im letztern Sinne | |||||||
genommen. | |||||||
Wenn ich nun den Sprachgebrauch frage, so scheint er jedesmal | |||||||
nur für die erste Bedeutung zu stimmen, so daß das Wort Erkenntniß | |||||||
eine jede Vorstellung bedeutet, die auf ein Objekt bezogen wird: | |||||||
Man legt Thieren ohne Bedenken Erkenntnisse bei, ohnerachtet man | |||||||
ihnen den Verstand oder das Vermögen der Begriffe abspricht. Und | |||||||
wiederum wird eine Idee, wenn auch zugestanden wird, daß ihr kein | |||||||
Objekt in der Erfahrung gegeben werden könne, und daß in ihr nichts | |||||||
Anschauliches enthalten sey, dennoch eine Erkenntniß genannt, so bald | |||||||
nur eingeräumt werden muß, daß sie eine Vorstellung sey, die überhaupt | |||||||
auf etwas hinweiset, das von der Vorstellung verschieden ist. | |||||||
So führt z. E. der blosse Begriff einer Erscheinung auf ein Etwas, | |||||||
das nicht Erscheinung ist; dieses Etwas kann ich nicht materialiter | |||||||
bestimmen, es wird aber doch mit der Vorstellung der Erscheinung als | |||||||
nothwendig verbunden gedacht. Ich habe also eine blosse Idee von | |||||||
diesem Etwas, aber wenn ich nun diese Idee nicht etwa selbst für das | |||||||
der Ersch[einung] zum Grunde liegende halte; so kann ich sie doch ohne Bedenken | |||||||
so interpretiren, daß sie ein reales Etwas überhaupt andeutet, | |||||||
welches so wohl von der Idee als der Erscheinung verschieden ist, ob ich | |||||||
gleich nicht bestimmen kann, ob dieses Etwas vorstellbar ist oder nicht. Die | |||||||
Auktorität die mich zwingt ein solches Objekt anzunehmen ist meine | |||||||
Vernunft, aber diese nöthigt mich ebenso die Wirklichkeit eines Etwas | |||||||
das da erscheint zum voraus zu setzen, als mich die Sinne nöthigen | |||||||
die Wirklichkeit der Erscheinungen zuzugestehen. Im ersten Falle | |||||||
weiset mich die Vernunft auf ein Objekt hin, im andern Falle stellen | |||||||
mir die Sinne solches vor. Ich kann der Auktorität der Vernunft | |||||||
nicht weniger trauen als den Sinnen. Wir erkennen also wirkl[ich] | |||||||
durch die Vernunft, daß es Dinge an sich gebe und zwar durch die | |||||||
Idee. Diese Idee drückt nichts von den Dingen an sich aus, sie läßt | |||||||
sie unbestimmt, aber sie deutet doch, wie mich dünkt ihr Daseyn an. So | |||||||
leer also diese Idee auch seyn mag; so bald sie nur auf [auf] ein reales | |||||||
Objekt hindeutet, kann wie mich dünkt, [sie] doch Erkenntniß heißen. | |||||||
Ich weiß wohl, daß ich nicht bestimmen kann, was reales Daseyn | |||||||
ist, wenn ich solches nicht durch ein Verhältniß in der Zeit auf mein | |||||||
Wahrnehmungsvermögen bestimmen kann; aber der blosse logische Begriff, | |||||||
den ich damit verknüpfe wenn ich sage das Ding an sich ist da, | |||||||
und der nichts sagen will, als es enthält den unbedingten Grund der | |||||||
Wirklichkeit der Erscheinung ist dennoch ein solches Merkmal, wodurch | |||||||
ich in den Stand gesetzt bin; gesetzt es würde mir ein intellektuales | |||||||
Anschauungsvermögen gegeben, das Ding an sich zu suchen und zu | |||||||
finden; es ist ein formaler, vorläufiger Begriff aber wirklich nie objektive | |||||||
Vorstellung, ohngefehr so wie ein Tauber sich vorläufige Begriffe | |||||||
vom Hören machen kann, die wirklich im Zustande der Taubheit blos | |||||||
formal seyn können, die ihn aber doch in den Stand setzen würden, | |||||||
gesetzt, sie erhielten mit einem Male das Gehör, zu erkennen, daß sie | |||||||
jetzo hörten. Ich sehe nicht, warum man nicht sagen könnte, da | |||||||
Taube, Blinde vorläufige Erkenntnisse vom Hören und Sehen haben | |||||||
könten (Begriffe) ob sie gleich keine Anschauungen haben. | |||||||
Mein Hauptaugenmerk hierbei ist, ob nicht durch eine solche Nachgiebigkeit | |||||||
im Ausdrucke die Vereinigung der Partheien, da es doch | |||||||
der Critik angelegen ist, sie mit sich selbst einig zu machen, befördert | |||||||
werden könnte. Im Grunde hat man doch der Critik schon sehr viel | |||||||
zugestanden. Der Hauptanstoß scheint den Gegnern nur noch zu seyn, | |||||||
daß sie keine Erkenntniß von Gott, Unsterblichk[eit] u.s.w. haben sollen. | |||||||
Daß ihre Erkenntniß nicht anschaulich seyn könne, geben sie allgemein | |||||||
zu. Wenn man ihnen nun beweißt, daß die Prädikate einfach, immateriell | |||||||
etc. anschauliche Prädikate sind, so müssen sie diese [aufge]ben, | |||||||
weil sie nicht für uns anschaulich sind. Geben sie also zu, daß wir | |||||||
blos Verhältnisse des Unbedingten zu uns und der Sinnenwelt angeben | |||||||
können; so dünkt mich kann man ohne Bedenken die Vorstellung dieser | |||||||
Verhältnisse auch Erkenntnisse nennen, da doch zugestanden wird, da | |||||||
wir diese Verhältnisse nicht blos denken (. sie uns einbilden) sondern | |||||||
daß sie real sind, daß wir sie also für objektiv halten, der Grund der | |||||||
uns hierzu bestimmt mag nun das Objekt oder das Subjekt seyn. In | |||||||
den Krit[ischen] Versuchen über den ersten Band des Hume, habe ich einen | |||||||
Versuch gemacht diese Begriffe deutlich vorzutragen. Ich wünsche | |||||||
sehnlich hierüber belehrt zu werden. Ich bin es nicht allein, der | |||||||
hierinne Schwierigkeiten findet. Ihnen würde es etwas leichtes seyn, | |||||||
über diese Sprachzweideutigkeit Aufschlüsse zugeben und die Wortbedeutung | |||||||
deren Sie sich bedienen mit dem gemeinen Sprachgebrauche | |||||||
zu vereinigen. Ich glaube gewiß, daß dieses die Vereinigung sehr | |||||||
befördern würde. | |||||||
Ubrigens glaube ich, kann es Ihnen nicht unangenehm seyn | |||||||
Humen im deutschen Gewande zu sehen. Der Grund seines Raisonnements | |||||||
kann wie ich glaube blos durch Ihre Critik gehörig verstanden | |||||||
werden und wenn ich etwas durch die beigefügten Versuche zur Erleichterung | |||||||
der richtigen Beurtheilung beigetragen habe; so fällt der | |||||||
schönste Theil des Verdienstes auf Sie zurück. Eben so ist es auch | |||||||
mit der Preißschrift, welche Sie ebenfalls durch einen Buchhändler erhalten | |||||||
werden. Ich wünsche nichts mehr, als daß Sie urtheilen mögen, | |||||||
daß ich mich Ihrer Grundsätze recht bedient habe, und daß ich nicht | |||||||
ganz unfähig sey, etwas zur Ausbreitung und Beförderung der wahren | |||||||
Philosophie beizutragen. Der Himmel verleihe Ihnen noch recht lange | |||||||
Kraft und Stärke, damit Sie der Welt noch lange Ihre Schätze mittheilen | |||||||
können. Möchten Sie sich doch entschliessen uns mit einer | |||||||
Anthropologie zu besch[enken.] | |||||||
Ich bin mit der tiefsten Achtung und Ehrfurcht ganz der [Ihrige ] | |||||||
[ Iakob.] | |||||||
[ abgedruckt in : AA XI, Seite 168 ] [ Brief 425 ] [ Brief 426a ] [ Gesamtverzeichnis des Briefwechsels ] |