Kant: AA XI, Briefwechsel 1790 , Seite 158 |
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01 | zwar subjektiv nothwendige Bedingungen unserer Anschauungen, aber | ||||||
02 | es correspondiren ihnen demungeachtet auch Eigenschaften der Dinge | ||||||
03 | an sich. - Sollte es wahr sein, daß der ganze Einwurf nichts wichtigers | ||||||
04 | enthält, so finde ich ihn eben so schreckhaft nicht. Wodurch | ||||||
05 | will Herr S. beweisen, daß R. und Z. den Dingen an sich selbst zukommen? | ||||||
06 | Und giebt er zu, daß R. und Z. Formen der Sinnlichkeit | ||||||
07 | sind, wie will er behaupten, daß sie doch von den Dingen an sich abhingen; | ||||||
08 | denn werden sie uns durch die Objecte gegeben, so gehören sie | ||||||
09 | ja sodann zur Materie der Anschauung und nicht zur Form derselben. | ||||||
10 | So bald die Schrift erscheint, werde ich das Vergnügen haben Ihnen | ||||||
11 | ein Exemplar zu übersenden. | ||||||
12 | Ietzt gehn hier sonderbare Dinge vor. Der König hat sich vergangenen | ||||||
13 | Sonntag vor 8 Tagen auf dem hiesigen Schlosse in einem | ||||||
14 | seiner Zimmer mit der Gräfin von Dehnhof trauen laßen. Die größte | ||||||
15 | Wahrscheinlichkeit, für mich beinahe Gewisheit, ist daß Zöllner die | ||||||
16 | Trauung verrichtet hat. Gegenwärtig waren Minister Wöllner und | ||||||
17 | der Herr von Geysau auf Seiten des Königs; die Mutter und Schwester | ||||||
18 | der Gräfin und ihr Stiefbruder (oder Cousin das habe ich vergessen) | ||||||
19 | auf Seiten der Braut. Der König kam den Sonnabend Abend von | ||||||
20 | Potsdam hieher und die Trauung ging Sonntag Abend um 6 Uhr | ||||||
21 | vor sich. Die Gräfin war (wie eine Romanheldin) weiß gekleidet, mit | ||||||
22 | fliegendem Haar. Sie hält sich jetzt in Potsdam auf. Man vermuthet, | ||||||
23 | daß der Kurfürst von Sachsen, sie in den Reichsfürstenstand wird erheben | ||||||
24 | müssen. Die Gräfin war vorher Hofdame bei der regierenden | ||||||
25 | Königin. Schon beinahe ein Iahr hindurch stand der König mit ihr | ||||||
26 | in Unterhandlungen, sie nahm sich hingegen so, daß man im Publiko | ||||||
27 | nicht wußte, ob sie dem Könige Gehör gab oder nicht. Vor 14 Tagen | ||||||
28 | ungefähr kömmt ihre Mutter, wie die Gräfin verbreitet hatte, auf ihre | ||||||
29 | Bitte um sie nach Preußen mitzunehmen. Die Gräfin nimmt öffentlich | ||||||
30 | am Hofe Abschied. Die regierende Königin schenkt ihr ein Paar | ||||||
31 | brillantne Ohrgehänge und läßt ihr sagen; sie würde am besten wissen, | ||||||
32 | ob sie sich ihrer dabei erinnern dürfe. Iedermann glaubt sie abgereist, | ||||||
33 | als die Trauung geschieht. Die Königin hat die Sache mit ziemlicher | ||||||
34 | Ruhe angehört. Was ich bis jetzt erzählt habe, ist die genauern | ||||||
35 | Nebenumstände abgerechnet beinahe jedermann bekannt; und es macht | ||||||
36 | im Publiko gewaltige Sensation. Zöllners Zulauf in seinen Predigten | ||||||
37 | hat sich vermindert und selbst bei einer Introduction, die er neulich | ||||||
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