Kant: AA XI, Briefwechsel 1790 , Seite 159 |
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01 | gehalten hat, und wo sonst hier alles zuströmt ist die Kirche leer gewesen. | ||||||
02 | - Folgendes wissen wohl nur wenige Personen. Es ist eine | ||||||
03 | Scheidung des Königs und der Königin vorhanden, die mit ihrer Einwilligung | ||||||
04 | zur Zeit der Unterhandlungen mit der verstorbenen Ingenheim | ||||||
05 | aufgesetzt ist; der König hat sich aller ehelichen Rechte begeben, | ||||||
06 | und die Königin hat blos die Honneurs behalten. Doktor Brown hat | ||||||
07 | sie für gestört erklärt, und es ist dis in der That auch sehr wahrscheinlich, | ||||||
08 | da dieser Zufall ein Familienfehler ist. Sie tanzt oft auf | ||||||
09 | Tisch und Stühle herum, und sieht Geister. Wie unglücklich würde | ||||||
10 | unser Staat dereinst sein, wenn sich dieser Fehler auch auf ihre Kinder | ||||||
11 | fortgepflanzt hätte. | ||||||
12 | Die Kriegsrüstungen gehen hier immer noch fort. Das Merkwürdigste | ||||||
13 | aber ist, daß nicht das Ministerium, sondern der König den | ||||||
14 | Krieg wünscht. Man trägt sich hier mit folgendem Plan im Publiko: | ||||||
15 | Unsere Armee wird sich in 4 Corps theilen, das erste geht unter Anführung | ||||||
16 | des Königs, unter dem Möllendorf kommandiren wird, gegen | ||||||
17 | die Oestreicher, das zweite unter Anführung des Herzogs von Braunschweig | ||||||
18 | gegen die Russen, Prinz Friedrich kommandirt das Observationskorps | ||||||
19 | gegen die Sachsen, und dann soll noch ein sogenanntes | ||||||
20 | fliegendes Corps statt haben. Was Sachsen betrift, so erzählt man, | ||||||
21 | es habe noch bei Lebzeiten des verstorbenen Kaisers der Gesandte | ||||||
22 | desselben am sächsischen Hofe um eine Privataudienz beim Kurfürsten | ||||||
23 | angehalten, die ihm auch bewilligt worden; in dieser fragte er den | ||||||
24 | Kurfürsten, wie er sich, wenn es mit Preußen zu einem Kriege käme, | ||||||
25 | nehmen würde, und dieser antwortete: er werde neutral bleiben. Der | ||||||
26 | Gesandte ergrif begierig diese Antwort und bat den Kurfürsten sie | ||||||
27 | ministeriel zu machen. Dis hat der Marchese Lucchesini glücklich verhindert, | ||||||
28 | doch hat der Kurfürst die Antwort einmal mündlich gegeben. | ||||||
29 | Man wird also durch eine Armee den Kurfürsten nöthigen, auf unsere | ||||||
30 | Seite überzutreten. | ||||||
31 | Da ich den Brief schliessen will, fällt mir ein, daß Sie, theuerster | ||||||
32 | HE. Professor mit dem morgenden Tage Ihr 67 Iahr antreten. Niemand | ||||||
33 | nimmt gewiß herzlichern Antheil daran als ich; niemand hegt | ||||||
34 | gewiß einen aufrichtigern Wunsch, Sie noch lange der Welt erhalten | ||||||
35 | zu sehen als ich, der ich in Ihnen meinen zweiten Vater verehre. | ||||||
36 | Dem Herrn Prof. Krause, Ihrem vortreflichen Freunde, machen | ||||||
37 | Sie meine beste Empfehlung, und da ich von seiner Güte überzeugt | ||||||
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